Tuesday, July 31, 2007

 

* Großbritannien: Dubiose Rechtsprechung

Großbritannien - Amnesty International Reaktion auf den Entscheid des Berufungsgerichts in Musterprozessen im weltweiten Kampf gegen Folter.


Am 30. Juli 2007 urteilte das Berufungsgericht von England und Wales in einem wichtigen Testfall, bei dem es um die Appelle drei algerischer Männer ging, gegen ihre Abschiebung nach Algerien aufgrund "nationaler Sicherheit". Das Urteil erfolgte in zwei Teilen: einem offenen Urteil und einem geschlossenen, d.h. geheimen Urteil, das den Appellanten, ihren gewählten Rechtsanwälten oder der Öffentlichkeit allgemein nicht bakannt gemacht wurde.

In jedem der drei Fälle befand das Berufungsgericht dass die Sonder- Immigrations- Berufungskommission [Special Immigration Appeals Commission (SIAC)] die Urteile überdenken sollte. In zweien der drei Fälle kam das Berufungsgericht aufgrund von geheimen Beweismitteln zum Urteil. Amnesty Intenational findet es doppelt beunruhigend, dass diese zwei Männer weder erfahren werden, was gegen sie vorliegt, noch nach welchen Kriterien die SIAC eben diesen Fall noch einmal überdenken wird. Das Prinzip, nachdem das Recht nicht nur gelten, sondern auch ausgeübt werden soll, scheint auf den Kopf gestellt....

- siehe verbindlichen vollständigen Text United Kingdom – Amnesty International’s reaction to the judgment by the Court of Appeal in key cases in the global fight against torture
AI Index: EUR 45/013/2007 vom 30. Juli 2007

Im AI Jahresbericht 2007 hiess es dazu:
>>In mehreren Widerspruchsverfahren, mit denen Betroffene gegen ihre Abschiebung aus Gründen der nationalen Sicherheit vorgingen, standen Entscheidungen nach wir vor aus. Erwartet wurde beispielsweise ein Urteil in einem Musterprozess, in dem es um die Frage ging, inwieweit eine von der britischen Regierung im Jahr 2005 mit Jordanien geschlossene Vereinbarung als verlässliche Basis für Entscheidungen in Abschiebefällen angesehen werden kann. Die Regierung in London vertrat weiterhin die Ansicht, dass sie sich auf die in dieser und vergleichbaren Vereinbarungen mit anderen Ländern enthaltenen »diplomatischen Zusicherungen« verlassen könne und das Vereinigte Königreich deshalb von seiner Verpflichtung entbunden sei, niemanden in ein Land zurückzuschicken, in dem ihm Folter oder Misshandlung droht. Obwohl die britische Regierung mit Algerien kein solches Abkommen getroffen hatte und auch einräumte, dass bei Rückführungen nach Algerien ein erhebliches Folter- und Misshandlungsrisiko besteht, stellte sie sich auf den Standpunkt, dass mit den von der algerischen Regierung in konkreten Einzelfällen abgegebenen Zusicherungen ein solches Risiko mit Sicherheit ausgeräumt sei.<<
- Quelle: AI Jahresbericht 2007

Weitere Nachrichten in Kürze

The Times schreibt zu Ahmed Belbacha, einer der Bewohner von GB, die noch in Guantánamo sind: Guantanamo inmate fights to stay
A man who spends his days in an isolation cell is fighting to stay in the notorious camp instead of being returned to Algeria

The Independent berichtet zur Situation in britischen Gefängnissen:
'Kafkaesque' indeterminate sentences stretch prisons
Prisons are being stretched to breaking point by the huge increase in "ferocious and unjust" indeterminate jail sentences, penal reformers have warned.



Monday, July 30, 2007

 

* Nachrichten von Europa in Kürze

Guantánamo und der britische Geheimdienst

The Times berichtet über Bisher el-Rawi und seine Zusammenarbeit mit der MI5 in der Geschichte seiner Überführung in Gambia und Verschleppung nach Guantánamo.
siehe: MI5 betrayed me, says Guantanamo man von Sean O’Neill
- siehe dazu auch in Der Spiegel: Gefangen in Guantánamo
- Für The Observer berichtet el-Rawi ausführlich über seine Erlebnisse und die Hintergründe. Revealed: MI5's role in torture flight hell von David Rose
Es heisst darin auch zum Bericht des parlamentarischen Komittees
>>The committee report cited MI5 testimony claiming that when al-Rawi was transported in December 2002, it could not have known how harsh his treatment might be. Yet eight months earlier, Amnesty International had published a lengthy report on US detention in Afghanistan, quoting several ex-prisoners who described conditions very similar to those experienced by al-Rawi.<<
Weiter heisst es, dass GBs Home Secretary Jaqui Smith derzeit Jamil el-Bannas Wohnanspruch in Großbritannien wegen Gründen der Staatssicherheit überprüft. el-Bannas Frau und ihre fünf Kinder sind britische Staatsangehörige und leben dort.

Ende der britischen Militärkampagne in Nordirland

The Times berichtet, dass während 38 Jahren Einsatz von insgesamt über 300 000 Militärs 763 darunter als direkte Folge des nordirischen "Terrors" umkamen. 309 Zivilisten und Mitglieder paramilitärischer Gruppen seien durch das Militär getötet worden.
siehe Artikel: After 38 years, the Army’s longest campaign draws to a quiet close von David Sharrock

Saturday, July 28, 2007

 

* Großbritannien und der "Kampf gegen 'Terror'"

Zum Fall el-Banna
The New York Times berichtet: British Report Criticizes U.S. Treatment of Terror Suspects von Raymond Bonner und Jane Perlez
Darin sind auch Ausführungen zu dem Schicksal zwei britischer Einwohner, von denen Jamil el-Banna immer noch in Guantánamo steckt.
- Amnesty International erwartet von der britischenRegierung, dass sie sich um eine Freilassung oder um ein gerechtes Verfahren für el-Banna bemüht. (siehe Blog Eintrag vom 27. Juli: Fall el-Banna)
- siehe Report: cabinetoffice.gov.uk

Zur Haft ohne Anklage
Am 27. Juli zitierte die Berliner Zeitung in Übersetzung aus The Guardian:
>>[Winston Churchill] sagt, die Macht der Exekutive, einen Menschen ohne Anklage ins Gefängnis zu sperren, sei die Grundlage für alle totalit&aunl;ren Regierungen.<<
- siehe: Taking liberties (The Guardian Leitartikel vom 26 Juli 2007)
"Facing a far graver threat to the nation than that posed today by militant Islamism, Winston Churchill remained clear that internment was an evil that should not be lightly indulged. He said in 1943: "The power of the executive to cast a man into prison without formulating any charge known to the law ... is in the highest degree odious, and the foundation of all totalitarian government". That judgment is sound, and it follows that further extending pre-charge detention should only be countenanced where the evidence that it would save large numbers of lives is overwhelming. That evidence was not forthcoming yesterday."


Friday, July 27, 2007

 

* Fall el_Banna und inhaftierte Flüchtlingskinder auf den Kanaren

Der Fall el-Banna
The Independent berichtet: Deadline set for decision on fate of Guantanamo inmate von Colin Brown

candle- siehe dazu: AI Jahresbericht 2007 vom Mai 2007
>>Häftlinge in Guantánamo Bay mit Verbindung zu Großbritannien
Im US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba wurden weiterhin mindestens acht Personen festgehalten, die lange in Großbritannien gelebt hatten.

Das Berufungsgericht von England und Wales lehnte es im Oktober ab, die britischen Behörden anzuweisen, sich für die Rückkehr des Irakers Bisher al-Rawi nach Großbritannien einzusetzen, wo er lange gelebt hatte. Ebenso verfuhr das Gericht im Fall des Jordaniers Jamil al-Banna und des Libyers Omar Deghayes, die beide im Vereinigten Königreich Flüchtlingsstatus besaßen. <<
- siehe auch AI Index: EUR 01/001/2007 (April 2007)
Der Fall el_Banna wird dort beim Ländereintrag "United Kingdom" unter dem Kapitel "Renditions" ausführlich behandelt
- auch AI Index: EUR 01/007/2006 (Dezember 2006)
eben dort unter "Guantánamo Bay"
- und AI Index: EUR 45/018/2006 (October 2006)
UK: Court of Appeal misses opportunity on UK residents held at Guantánamo

Spaniens Flüchtlingskinder
The Independent berichtet: Spain accused of keeping migrant children in 'punishment' cells von Mar Roman
- Der Human Rights Watch Report dazu - Spain: Migrant Children at Risk in Government Facilities

candle- im AI Jahresbericht 2007 heisst es dazu:
>>Zu den auf den Kanarischen Inseln gestrandeten Menschen zählten auch Hunderte unbegleitete Minderjährige, von denen mangels entsprechender Kapazitäten nur ein Bruchteil in jugendgerechten Einrichtungen untergebracht werden konnten und die deshalb in ihren Grundrechten gefährdet waren.<<
- siehe auch: AI Index: EUR 01/001/2007 (April 2007)
im Ländereintrag unter "Migration and asylum"
- The New York Times: In Spanish Centers for Migrant Youth, Reports of Squalor von Victoria Burnett

Thursday, July 26, 2007

 

* Keine verlängerte Haft ohne Anklage!

Amnesty International verurteilte gestern den britischen Regierungsvorschlag, Menschen unter der "Terrorismus"-Regelung nach Polizeiermessen [statt bis zu 28 Tagen] bis zu 56 Tagen festzuhalten.

candle
25/07/2007
UK: Extension of pre-charge detention amounts to internment
siehe vollständigen und verbindlichen Text im Original (englisch) AI Index: EUR 45/012/2007
[...] "The UK government's proposal to lock people up for 56 days without charge or trial amounts to internment and is an assault on human rights and freedoms," said Nicola Duckworth Director of the Europe and Central Asia Programme at Amnesty International. [...]
Hintergrundinformation
Amnesty International hat die derzeitige Regelung von 28-tägiger Untersuchungshaft nach polizeilichem Ermessen ohne Vorbehalt abgelehnt.

Jeder, der unter allgemeinem britischen Strafrecht verdächtigt wird, eine schwere kriminelle Tat, wie Mord, verübt zu haben, kann ohne Anklage bis zu vier Tagen festgehalten werden. Dagegen kann die Polizei unter der derzeitigen "Terrorismus"-Regelung Menschen bis zu 28 Tage ohne Anklge festhalten - eine Zeit die das siebenfache beträgt.


Verlängerte Haft ohne angeklagt und vor einen Richter gebracht zu werden, untergräbt das Recht auf ein gerechtes Verfahren, eingeschlossen der Rechte, unverzüglich die Anklage gegen sich zu erfahren, vor willkürlicher Haft, vor Folter und anderer Misshandlung geschützt zu sein, und als unschuldig bis zum Gegenbeweis zu gelten. Sie könnte auch die unerwünschte Nebenwirkung haben, zu einer Häufung von Anklageerklärungen zu führen, die ein Gericht nicht gelten ließe, gerade weil die Bedingungen, unter denen sie erhoben wurden, als von unterdrückender Natur erachtet würden.


Andere Quellen zum Thema:
-Offizielle Seite des
Home Office (Innenministerium)
Prime Minister announces new counter-terrrorism strategy
-
The Times: New border police force will check all travellers von Philip Webster and Sean O’Neill
-
The Guardian: Brown sets out sweeping but risky terror and security reforms von Patrick Wintour and Alan Travis
-
The Independent: Brown plans Border Force to counter terrorism threat von Nigel Morris
- Netzzeitung.de:
Brown will schärfer gegen Terror vorgehen
- New York Times:
British Leader Seeks New Terrorism Laws von Jane Perlez
- Neue Zürcher Zeitung:
Brown will längere Haft für Terrorverdächtige
es heisst darin unter anderem:
>>Das Problem der langen Polizeihaft liegt indes auch im britischen Rechtssystem. Dieses verlangt, dass sämtliche Befragungen abgeschlossen sein müssen, bevor jemand unter Anklage gestellt wird. Es gibt nun Stimmen, die das ändern möchten.<<
Weitere Nachrichten in Kürze
- The Times
berichtet heute:
Das parlamentarische Komittee für Sicherheitsbelange in Großbritannien [Intelligence and Security Committee (ISC)] hat gestern MI5 und MI6 kritisiert, die versämt hätten, Minister zu warnen, nachdem sie entdeckt hatten, dass die CIA Material der britischen Geheimdienste ausnutzte, um "Terror"-Verdächtige festzunehmen und in geheimen Lagern wie Guantanamo zu verhören

siehe vollständigen Text:British security services ‘helped in rendition of terror suspects’ von Michael Evans
- dazu auch
The Independent:
CIA misled Britain over rendition plan von Colin Brown
The Guardian:
CIA discounted British concerns, say MPs von Richard Norton-Taylor


Wednesday, July 25, 2007

 

* Nachrichten von Europa in Kürze

25. Juli 2007
The Guardian berichtet heute von der Kritik der unabhängigen Forschungsorganisation Saferworld am Waffenhandel Großbritannienes mit Ländern, deren Regierungen für schwere Menschenrechtsverstöße verantwortlich gemaht werden, darunter Saudi Arabien, Israel, Kolumbien, China und Russland.
- siehe Artikel: UK arms export policy criticised von Richard Norton-Taylor
- siehe auch Blog Eintrag vom 16. Juli: EU - Indien - Myanmar: drohende Untergrabung vom Waffenembargo
- - -
The Independent berichtet über Pläne der britischen Innenministerin Jacqui Smith, "Terror" Verdächtige länger als 28 Tage ohne Anklage in Haft zu halten.
- siehe Artikel: Smith in new push to extend terror detention beyond 28-day limit von Nigel Morris

Monday, July 23, 2007

 

* Folteropfer haben Besseres verdient

23. Juli 2007
Der Kommissar für Menschenrechte im Europarat, Thomas Hammarberg, hat an die Rechte der Opfer von Menschenrechtsverstößen gemahnt:
>>Torturers and others who violate human rights should be brought to account – at the same time, we should not forget the victims. What they have gone through tends in many cases to cause distressing trauma, disruption of everyday life and destruction of the future. Justice requires that redress is achieved for the victims.<<
Als Rechte für die Opfer listet Hammarberg auf:
Der volle Text (englisch) ist bei coe.int: “Victims of human rights violations deserve more

siehe auch:UN document (englisch) A/RES/60/147
Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law

 

* FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

17. Teil in der Serie
(vom Original "France: The search for justice", AI Index EUR: 21/001/2005
übersetzt von Georg Warning; siehe 7. Juli;
Anfang unter: Februar 2007)

2.7. Die Begriffe der "Notwehr" und des "Notstands"
Wie in den meisten Rechtsystemen sieht auch das französische Strafgesetz ein Recht auf Verteidigung vor, d.h. Ausnahmen von der strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen, die sonst gesetzwidrig wären, vorausgesetzt, dass bestimmte Ausnahmebedingungen erfüllt sind. Zwei Formen dieses Rechts auf "Verteidigung" sind in diesem Kontext besonders wichtig.

2.7.1. "Notwehr" (Legitime Verteidigung, Selbstverteidigung)
Das französische Recht schreibt vor, dass bei der Anwendung von Zwangsmitteln die Mittel im Verhältnis zur Schwere der Bedrohung oder des Angriffs stehen müssen. Nach den Artikeln 122-125 des französischen Strafgesetzbuchs ist es legal, wenn eine Person sich oder Dritte gegen einen ungerechtfertigten Angriff verteidigt, solange dieser Akt für die Selbstverteidigung bzw. Verteidigung Dritter notwendig ist und zeitgleich mit dem Angriff stattfindet, vorausgesetzt, die Verhältnismäßigkeit zwischen den Mitteln der Verteidigung und der Schwere des Angriffs bleibt gewahrt.

Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist auch in Artikel 9 des Verhaltenskodex der Nationalpolizei (Erlass vom 18. März 1986) klar verankert. Dort heißt es: "Wenn der Polizeibeamte laut Gesetz berechtigt ist, Zwangsmittel und insbesondere Waffen einsetzen, darf er es nur tun, wenn es strikt notwendig ist und im angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel steht."


Auch gilt laut Artikel 10: "Jede festgenommene Person untersteht der Verantwortung und dem Schutz der Polizei und darf keiner Gewalt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch einen Polizeibeamten oder eine dritte Person ausgesetzt werden." 35 Wird ein Polizeibeamter Zeuge eines solchen Vorfalls, setzt er sich einem Disziplinarverfahren aus, wenn er nichts unternimmt, um diesen zu unterbinden bzw. die zuständige Stelle darauf aufmerksam zu machen.


Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gilt allerdings nicht für militärische Offiziere der Gendarmerie nationale (siehe 2.8. unten).


Ein französisches Handbuch für Polizeiausbildung erklärt klipp und klar: "Wenn für einen Polizisten auch nur die geringste Möglichkeit besteht, ohne Folgen für sich oder für Dritte ... einem illegalen Angriff .. auszuweichen, hat er diese Lösung zu wählen, statt seine Waffe zu gebrauchen. Wenn z.B. ein Fahrzeug absichtlich auf den Beamten zusteuert und er die Zeit hat und körperlich in der Lage ist, auszuweichen..., sollte er das tun und nicht die Waffe einsetzen. Wenn das Fahrzeug vorbeigefahren ist, ist das Kriterium für legitime Verteidigung nicht mehr gegeben, der Einsatz der Schusswaffe durch den Beamten ist dann verboten." 36 Diese Bestimmung entspricht den internationalen Normen für Beamte mit Polizeibefugnissen beim Einsatz von Zwangsmitteln im Allgemeinen und von Schusswaffen im Besonderen (siehe unten).


2.7.2. "Notstand"
Laut Artikel 122-7 des französischen Strafgesetzbuchs gilt:

"Wer einer gegenwärtigen oder unmittelbaren Gefahr für sich selbst, für eine andere Person oder für das Eigentum ausgesetzt ist, ist strafrechtlich nicht verantwortlich, wenn er eine notwendige Maßnahme ergreift, um die Sicherheit der Person oder des Eigentums zu gewähren, außer wenn die angewandten Mittel außer Verhältnis zur Schwere der Gefahr stehen."

Diese Art von Schutzmaßnahme unterscheidet sich von der "Notwehr" dadurch, dass die Gefahr nicht notwendigerweise vom Angriff einer dritten Person ausgehen muss, sondern auch durch ein Zusammentreffen verschiedener Umstände zustande kommen kann. Wenn etwa ein Feuerwehrmann oder eine Privatperson in eine Privatwohnung eindringt, um die Bewohner aus den Flammen zu retten, soll der "Notstand" ihn vor strafrechtlicher Verantwortung wegen Einbruchs, Beschädigung fremden Eigentums etc. schützen.

2.7.3. Missbrauch der Begriffe
Amnesty International ist besorgt, dass Schutzregeln wie "Notwehr" und "Notstand" in Fällen, in denen französische Polizisten Gewalt angewandt haben, ausgiebig missbraucht werden. Beide Ausnahmeregeln werden fast ausnahmslos dann herangezogen, wenn Polizeibeamten wegen Mordes oder Totschlags oder anderer Verbrechen angeklagt werden, und wurden häufig von den Gerichten übernommen, selbst wenn die Umstände deutlich machten, dass der Einsatz der Zwangsmittel durch den Polizeibeamten unnötig, leichtfertig oder unverhältnismäßig war.

Einge in Abschnitt 3 (siehe unten) zitierte Fälle endeten mit kontroversen Freisprüchen, kontrovers nicht nur vom Standpunkt der Rechtsanwälte, Menschenrechtsgruppen oder Angehörigen der Betroffenen, sondern auch in dem Sinn, dass beim Gang durch die Instanzen ganz unterschiedliche Urteile gefällt wurden. Entscheidend in solchen Fällen war die Frage der Auslegung des Arguments der "Notwehr" oder des "Notstands". Dies hat mitunter zu bizarren Argumenten zugunsten der betroffenen Polizisten geführt. Dabei wirkte sich das Prinzip des (oft erheblichen) Zweifels für den Angeklagten meist zugunsten der Polizisten aus. So haben Staatsanwälte argumentiert, dass das Opfer eine "selbstmörderische" Haltung an den Tag gelegt habe (siehe den Fall von Etienne Leborgne); oder dass eine Verurteilung des Beamten seine Handlung künstlich in Einzelschritte aufsplitte (Todor Bogdanovic). Weitere Beispiele folgen unten. Darunter ist auch der Fall von Mohamed Ali Saoud, der langsam im polizeilichen Zwangsgriff erstickte. In diesem Fall argumentierte das Gericht, die Polizisten hätten in "Notwehr" gehandelt und seien folglich strafrechtlich nicht zu belangen. Dabei war der Tod nachweislich erst 15 Minuten oder mehr nach Einsatz der Zwangsmittel erfolgt, als dem Opfer schon Handschellen und Fußfesseln angelegt worden waren. Trotzdem drückten ihn die Beamten noch immer nieder, wodurch er schließlich erstickte.


---
35 Code de déontologie de la police nationale, Verhaltenskodex der Nationalpolizei, Artikel 9: "Lorsqu'il est autorisé par la loi à utiliser la force et, en particulier, à se servir de ses armes, le fonctionnaire de police ne peut en faire qu'un usage strictement nécessaire et proportionné au but à atteindre."

Artikel 10: "Toute personne appréhendée est placée sous la responsabilité et la protection de la police; elle ne doit subir, de la part des fonctionnaires de police ou de tiers, aucune violence ni aucun traitement inhuman ou dégradant."
36 Gestes et techniques professionels d'intervention - Direction du personnel et de la formation de la police, Ministère de l'intérieur et de l'aménagement du territoire.

Friday, July 20, 2007

 

* Gezieltes Töten, gestern und heute

20. Juli 2007
The Guardian berichtet, dass Nord-Irlands Ombudsperson, Frau Nuala O'Loan, erwägt, die Stalker-Ermittlungen wiederaufzunehmen. John Stalker hatte erste Ermittlungen geführt, die dem Verdacht nachgingen, dass während der "troubles" Regierungsstellen nicht nur von direkten Tötungen verdächtigter Terroristen wussten, sondern für sie Verantwortung trugen und die Ermittlungen zu vertuschen suchten.

Amnesty International und andere Nicht-Regierungs-Organisationen fordern seit vielen Jahren, dass Verdacht auf Staatsverwicklung in Verst&uo;ßen gegen die Menschenrechte, wie in diesem Fall dem gezielten Töten von Personen, lückenlos und öffentlich untersucht werden, um alle Ebenen der Verantwortungsträger aufzudecken, und um Verwicklungen dieser Art in Zukunft zu verhindern.

Wie aktuell dieser Anspruch auf Transparenz und Verantwortung bleibt, zeigen die neuauftauchenden Verwicklungen europäischer Länder im sogenannten "Krieg gegen Terror". Auch hier harrt der Verdacht auf Beteiligung oder zumindest wissentlicher Duldung schwerer Verstöße gegen Menschenrechte gründlicher Aufklärung, wie im Tötungsfall des Brasilianers Jean Charles de Menezes. Auch die jüngste Diskussion, ob die deutsche Verfassung deutschen Beamten erlauben soll, "Terroristen"-verdächtige im Ernstfall "präventativ" gezielt zu töten, unterstreicht die Sorge.

Siehe den Artikel im Guardian: "Shoot to kill inquiry to be reopened
Northern Ireland police ombudsman will re-examine John Stalker files" by Owen Bowcott, Ireland correspondent of Friday July 20, 2007

siehe auch auf diesem Blog
- zu Patrick Finucane (auf der rechten Spalte weiter unten)
- den Beitrag: Noch immer keine Gerechtigkeit für Patrick Finucane

zu den Fällen Patrick Finucane und Rosemary Nelson
- (englisch) Amnesty International, Group 27, Victoria: Collusion and Impunity
mit zahlreichen links zu relevanten AI Dokumenten


- (englisch) Chronologie
(- siehe eben dort auch: "The Stalker Affair" Buchbesprechung (rechte Spalte unten))

aktuelle Dokumente von Amnesty International:
- United Kingdom: Amnesty International's response to the announcement by the Northern Irish prosecuting authorities that no prosecutions are to follow from the Stevens III investigation
AI Index: EUR 45/010/2007
- Europe and Central Asia: Summary of Amnesty International's Concerns in the Region. July - December 2006
AI Index: EUR 01/001/2007
(siehe unter UK/"Northern Ireland")
- Europe and Central Asia: Concerns in Europe & Central Asia bulletin July-December 2005
(siehe unter UK/"Northern Ireland")

Zu Anregungen des deutschen Innensenators Wolfgang Schäuble in der "Terror"- bekämpfung kommentiert Julia Duchrow von ai Deutschland in:
Der Kampf gegen den Terror als Angriff auf die Menschenrechte
Darin geht es um gezielte Tötung:
>>[...] Würde mit Terrorverdächtigen „kurzer Prozess“ gemacht, indem gezielt getötet würde, hieße dies, dass der die Tötung ausführende Hoheitsträger ihn als von vorneherein schuldig ansehen würde [...]<<
Ein weiterer Vorstoß gegen die Menschenrechte wär die Präventionshaft:
>>Hooligans können vor und während eines klar definierten Ereignisses für maximal 14 Tage inhaftiert werden. Für mutmaßliche ausländische Gefährder, die man aus menschenrechtlichen Gründen nicht abschieben kann, stellt sich Schäuble hingegen eine unbegrenzte oder zumindest sehr langfristige Inhaftierung vor.<<
vollstaendiger Artikel bei ai.amnesty.de

Weitere Nachrichten in Kuerze

20. Juli 2007
- Die Berliner Zeitung berichtet von einem neuen Flüchtlingsdrama
Flüchtlingsdrama vor den Kanaren
- dazu auch die NZZ:
Drei Flüchtlinge vor Teneriffa tot geborgen
50 Personen vor kanarischen Inseln weiter vermisst

Amnesty International Dokumente zum Thema Migration und Asyl (englisch)
- Europe and Central Asia: Summary of Amnesty International's Concerns in the Region. July - December 2006 (migration and asylum, especially arriving by boat: Italy, Spain)
- Spain and Morocco: Failure to protect the rights of migrants – Ceuta and Melilla one year on
AI Index: EUR 41/009/2006


Thursday, July 19, 2007

 

* Weitere Nachrichten von Europa in Kürze

19. Juli 2007
"The Guardian" berichtet heute, dass Richter iR Richard Pollard, der den Tod des 15 jährigen Gareth Myatt von 2004 in Haft untersucht, den Justizminister Jack Straw dringend ermahnt hat, Fesselungsmethoden in Kinder- und Jugendhaftanstalten zu überprüfen. Eine weitere Verzögerung solch einer Untersucheung sei "unverzeihlich"
siehe Artikel: Coroner tells Straw to act now on restraint in child prisons

18. Juli 2007
- Die Netzzeitung berichtet von neuen Opfern unter Bootsflüchtlingen vor Lampedusa in Italien
siehe Artikel: Flüchtlinge sterben in gekentertem Schlauchboot
"AI calls on States and other actors to ensure the protection of human rights of all migrants – including those deemed to be irregular by the government – when developing policies to deal with irregular migration;"
zitiert aus: Amnesty International’s contribution to the Global Forum on Migration and Development, Brussels 10 – 11 July 2007 AI Index: POL33/003/2007

- Der Tagesspiegel berichtet vom Erhängungstod eines 37-jährigen Häftlings in der JVA Tegel
siehe Artikel: 37-Jähriger erhängt sich in JVA Tegel

13. Juli 2007

Die Tageszeitung berichtet über eine Aktion von Air-France Angestellten gegen Abschiebungsflüge
siehe Artikel: Gegen Abschiebung im Urlaubsflieger

10. Juli 2007
Die Tageszeitung berichtet über die Kritik des österreichischen Menschenrechtsbeirats zum verschärften Ausländerrecht
siehe Artikel: Abgeholt und abgeschoben


Wednesday, July 18, 2007

 

* Benachteiligung von Roma Kindern in Osteuropa

>> Falscher Start: Der Ausschluss von Roma Kindern von der Grundschulbildung in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Slowenien
Übersetzung der Zusammenfassung des Berichts von amnesty international

Ausgeschlossen von der Grundschuldbildung
In vielen Staaten Europas sehen sich Roma Kinder mit Hindernissen konfrontiert was ihren Zugang zu Bildung betrifft. Das Versagen der Regierungen das Recht auf Bildung sicher zu stellen, vereitelt vielen Kindern die Aussicht auf einen Arbeitsplatz und hält den Kreislauf von Benachteiligung und Marginalisierung der Roma Gemeinden aufrecht.

Bildung ist nicht nur ein Recht für sich. Sie ist unentbehrlich für die Realisierung weiterer Menschenrechte. Roma Gemeinden gehören nach wie vor zu den ärmsten in Europa. Segregation und Diskriminierung zwingen viele Roma am Rand der Gesellschaft zu leben, in einigen Fällen in desolaten Siedlungen oder Slums ohne jegliche Infrastruktur und Grundversorgung. In vielen Ländern sind Roma die hauptsächlichen Opfer unwürdiger Behandlung durch die Polizei und rassistisch motivierter Gewalt einzelner Menschen oder Gruppen. Allzu häufig wird ihnen jegliche Gerechtigkeit für die erlittenen Menschenrechtsverletzungen verweigert.

Die vorliegende Zusammenfassung des amnesty Berichts weist auf die mangelhaften Chancen von Roma Kindern auf Zugang zur Grundschulbildung in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Slowenien hin. Viel zu häufig besuchen Roma Kinder nicht, oder nur sehr unregelmäßig, die Schule. Aufgrund hoher Abbruchraten beenden viele nicht einmal die Grundschule. Einige werden in separaten „Roma-Klassen“ unterrichtet, wo ihnen lediglich ein reduzierter Lehrplan angeboten wird. Rassistische Einstellungen und Vorurteile sind weit verbreitet, selbst unter Lehrern, die mit Roma Kindern arbeiten. Extreme Armut verweigert den meisten Roma Kindern den vollen Genuss der Bildung. Kostenlose Mahlzeiten, Bücher und Transport werden nur selten angeboten. Häufig stellt schon die Entfernung der Schule von der Roma Siedlung, oder das Fehlen warmer Kleidung im Winter ein unüberwindbares Hindernis dar. Oft können Roma Kinder zu Hause, in kalten überfüllten Räumen, nicht lernen oder Schulaufgaben machen. Roma Kinder, die zur Schule gehen, werden auf Grund ihrer ärmlichen Kleidung zum Ziel von Schikanen.

Das Beseitigen dieser Hindernisse liegt in der Verantwortung der Regierungen. Die Behörden in
Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Slowenien haben es versäumt, das Recht auf Bildung zu
respektieren und zu sichern. In einigen Fällen geschah dies indem der Rassismus gegen und die
Diskriminierung von Roma innerhalb und außerhalb der Schule ignoriert wurde. Das Recht auf Bildung der Roma Kinder haben die Staaten auch dadurch verletzt, dass sie die Einbeziehung der Roma Kinder in das jeweilige Bildungssystem nicht aktiv gefördert haben. [...] <<

- Das Recht auf Bildung
- Bosnien und Herzegowina
- Kroatien
- Slowenien

- Dem Bericht ist eine Liste von Empfehlungen beigefuegt

zitiert aus: Amnesty International Themengruppe: Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen (Gruppe 2913)

siehe auch eben dort:
- Aktionspostkarte
- Video (englisch)
- Broschüre: Roma Kinder in Osteuropa - Bildung statt Ausgrenzung?
(pdf-Datei, 2 Seiten)


ausserdem:
- vollständiger Bericht im Original (englisch):
False starts: The exclusion of Romani children from primary education in Bosnia and Herzegovina, Croatia and Slovenia
AI Index: EUR 05/002/2006 vom 16. November 2006

- Zusammenfassung (englisch): Roma: Discrimination starts with primary education
AI Index: AI Index: EUR 05/004/2006 vom 16. November 2006

- Kurzfassung des Berichts (englisch):
AI Index: EUR 05/003/2006

 

* Europarat: Menschenrechtskommissar stellt Memorandum über Dänemark vor

11. Juli 2007
Das Memorandum, das Menschenrechtskommissar Thomas Hammarber vorlegte, wertet bisherige Bemühungen der dänischen Regierung, Empfehlungen des vorhergegangenen Menschenrechtskommissionärs von 2004 in Praxis umzusetzen. Es enthält auch neue Empfehlungen.

Im Memorandum wird unter anderem die Situation Minderjähriger in Asylanten-Auffanglagern angesprochen.
>>31. The second issue of concern is the prolonged stay of children in such conditions. Of the 2,374 inmates of Denmark’s reception centres, around 400 are children.<<
Zur Anwendung der Isolationshaft:
>>47. The Commissioner observed in 2004 that, further to international criticism, isolation for remand prisoners ordered by the courts had significantly decreased and that the same was true regarding the use of isolation as a disciplinary punishment by decision of the prison director. But it seemed to him that the use of isolation was still fairly common in Denmark.<<
[Hervorhebung vom Blogautoren]
Das Memorandum empfiehlt ausserdem Verbesserung im Beschwerdeverfahren.
>>63. The Commissioner insists on the importance of his predecessor’s recommendation made three years ago that the independence and the powers of the Police Complaints Boards need to be strengthened in Denmark.<<
siehe
- das Original (englisch): Memorandum to the Danish Government -
CommDH(2007)11
- weiter AI Dokumente (englisch) zu Dänemark
- und bei ai Deutschland (teils deutsch)


 

* Europas Rolle in geheimen Überführungen der CIA

18. Juli 2007
Europaparlament: mehr zum Dick Marty Report 2
>>A mixed reception for Dick Marty's report on CIA activities in Europe
MEPs heard on Tuesday from Council of Europe rapporteur Dick Marty on his report on secret detentions and illegal transfers of prisoners by the CIA in Europe. The European Parliament adopted a report on the same subject in February, and most MEPs at the latest hearing welcomed the similar conclusions reached by both institutions. Others, however, took issue with Mr Marty's refusal to reveal his sources.<<


Monday, July 16, 2007

 

* EU - Indien - Myanmar: drohende Untergrabung vom Waffenembargo

16. Juli 2007
>>Rüstung aus sechs EU- Mitgliedsstaaten droht Waffenembargo gegen Myanmar zu untergraben
amnesty international, Saferworld und andere Nichtregierungsorganisationen kommen in einem gemeinsamen Bericht zu dem Ergebnis, dass Indien die Lieferung des von Hindustan Aeronautics Ltd. produzierten Militärhubschraubers „Advanced Light Helicopter“ (ALH) nach Myanmar plant. Wichtige Bauteile und Technologie des Militärhubschraubers stammen allerdings aus nicht weniger als sechs EU-Staaten. Damit untergräbt die geplante Lieferung das Waffenembargo der EU gegen Myanmar. [...] <<
- siehe vollständige Pressemitteilung unter amnesty.de
- Original Bericht (in Englisch): Indian helicopters for Myanmar: making a mockery of the EU arms embargo?
AI Index Nr.: ASA 20/014/2007 vom 16. Juli 2007
- Pressemitteilung (in Englisch): EU-made rockets, guns and engines risk undermining Myanmar arms embargo
AI Index Nr.: POL 30/016/2007 vom 16. Juli 2007 (Vorlage für oben zitierte deutsche Pressemitteilung)
- AI Dokumentationen zu Menschenrechtsverstößen in Myanmar (Burma)
- - auf der ai Deutschland Webseite
- - bei amnesty.org
- Amnesty International EU Office

Thursday, July 12, 2007

 

* Europarat: Menschenrechtskommissar veröffentlicht Bericht über Deutschland

11. Juli 2007

In Straßburg legte der Kommissar für Menschenrechte, Thomas Hammarberg, heute den Bericht zur Lage der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland vor.

Überblick von Sorgen und Empfehlungen:
- Überstellungen
- Beteiligung an Verhören im Ausland
- Einrichtung eines Anti-Diskriminierungsbüros
- Datenbank zu rassistisch und fremdenfeindlich begründeten Straftaten
- Verbesserung der Lage von Sinti, Roma und Sorben
- Ratifizierung des Protokolls Nr 12 zum allgemeinen Verbot von Diskriminierung
- gleiche Mindeststandards für Gefängnisse in allen Bundesländern mit Ziel verstärkter Re-Integration
- Einrichtung aussergerichtlicher Beschwerdestellen
- unabhängige Polizeiüberwachung
- mehr Menschenrechtsbildung in Schulen und im Berufswesen
[zusammengefasst von: "Commissioner for Human Rights issues report on Germany"; Press release - 499 (2007); siehe auch: http://www.coe.int]

Wednesday, July 11, 2007

 

* Europarat Komitee gegen Folter: Berichte zu Spanien

10 Juli 2007
Im Juli und August 2003 und im Dezember 2005 hatte das europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) im Rahmen seiner Arbeit Spanien besucht und sich verschiedene Haftinstitutionen angesehen, neben Gefängnissen, psychiatrischen Anstalten für Straftäter und Jugendhaftanstalten, auch die Lager in Ceuta und Melilla , in denen Fremde beim Überqueren der Grenze von Marokko von Spaniens Zivilgarden aufgefangen und festgehalten werden.

Die CPT erachtet es aufgrund ihrer Beobachtung als notwendig, Spanien dazu aufzurufen,
die Rechtsgrundlagen und Handhaben zur Verhütung von Misshandlung von Menschen in Haft zu überarbeiten.

(zusammengefasst aus "Council of Europe's Anti-Torture Committee publishes two reports on visits to Spain" bei http://www.cpt.coe.int)

siehe auch (in Englisch) :
- Bericht zum Besuch vom Dezember 2005 CPT/Inf (2007) 30
- Antwort der spanischen Regierung CPT/Inf (2007) 31
- Bericht zum Besuch von Juli/August 2003 CPT/Inf (2007) 28
- Antwort der spanischen Regierung CPT/Inf (2007) 29
__________________________________
... Weiteres in Kürze:
*
Herbstakademie 2007 "Nationaler und internationaler Menschenrechtsschutz", Berlin
Das Deutsche Institut für Menschenrechte bietet vom 2. - 7. September einen einwöchigen Kurs zu Fragen des internationalen und nationalen Menschenrechtsschutzes in Berlin an.
*
Zur aktuellen Debatte über die Anti-Terror-Gesetzgebung: Menschenrechte als „rote Linie“ in der Politik der inneren Sicherheit
10.07.2007 - Die Menschenrechte markieren die rote Linie, die in der Politik der inneren Sicherheit und bei der Terrorismusabwehr nicht überschritten werden darf. Dies gilt es, in der aktuellen Diskussion über mögliche Verschärfungen der Sicherheitsgesetzgebung zu berücksichtigen. Die Gefahr, die vom Terrorismus ausgeht, rechtfertigt es nicht, kriegsrechtliche Kategorien in die Innenpolitik einzuführen.

Quelle für beide Meldungen: Deutsches Institut für Menschenrechte



Monday, July 09, 2007

 

* Untaugliches Vorbild





Die Berliner Zeitung berichtet heute über vermutliche Inspirationen für Innenminister Wolfgang Schäubles Entwürfe zu Verfassungs- und Gesetzesänderungen im "Kampf gegen den Terror". In "Von London lernen" (von Sabine Rennefanz) wird das britische Modell erwähnt, das unter "Terrorism Act 2006" bekannt ist. Amnesty International hat zahlreiche Fälle bearbeitet von Personen, die unter dieser Regelung mitunter schwer leiden und geistig daran zerbrochen sind. ("Im Oktober [2005] wurden mehrere Häftlinge – unter anderem wegen ihres sich dramatisch verschlechternden psychischen und physischen Gesundheitszustands – gegen Kaution freigelassen, allerdings unter Bedingungen, die Hausarrest gleichkamen." in: ai Jahresbericht 2006)

Amnesty International Dokumente zum Thema in Großbritannien:

»Krieg gegen den Terror«
Im März trat mit dem Antiterrorismusgesetz 2006 das vierte Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus seit dem Jahr 2000 in Kraft. Es enthielt einige Bestimmungen, die gegen grundlegende Menschenrechte verstießen. (ausfürlicher Bericht in ai Jahresreport 2007)
* * *
Lieber drohende Folter als Haft unter der GB Antiterrorismus- Gesetzgebung
„Q“ und „K“ standen vor der Wahl, sich weiterhin gegen die Ausweisung nach Algerien zu wehren und somit die fortgesetzte Inhaftierung in einem Hochsicherheitsgefängnis weit entfernt von Familie und Freunden in Kauf zu nehmen oder sich einer unsicheren Zukunft unter Gefährdung in ihrem Heimatland auszusetzen. Weitere Bemühungen gegen die Ausweisungen anzustrengen, hätte für die Männer bedeutet, rechtliche Verfahren einzuleiten, bei denen Geheimdienstinformationen verwendet würden, die weder ihnen noch ihren Anwälten zugänglich waren. Dies würde es ihnen erschweren, die Position der britischen Regierung zu widerlegen, dass sie „eine Gefahr für die Sicherheit Großbritanniens“ darstellen. Angesichts dieser Sachlage hatten „Q“ und „K“ keine Hoffnung mehr, dass ihnen in Großbritannien ein gerechtes Verfahren gewährt würde. Aus diesem Grund stellten die Männer im vergangenen Jahr alle Rechtsmittel gegen die Ausweisung ein. Sie willigten trotz der damit verbundenen Gefahren in ihre Rückführung ein.
(in: Algerien / Großbritannien: zwei algerische Staatsbürger, Urgent Action 019/2007 vom 26. Januar 2007)
siehe auch:
- United Kingdom: As Law Lords hear key cases on control orders, Amnesty International calls on the UK government to abandon them (AI Index: EUR 45/011/2007 vom 5. Juli 2007), auch hier auf dem Blog
- etwas Hintergrundinformation und weitere AI Dokumente (englisch): Anti - "terrorism" bill

 

* Gerechtigkeit für el-Masri





Im Fall el-Masri berichtet die Berliner Zeitung heute von einem Streit unter den Parteien in der Bundesregierung über die Zusendung der international geltenden Haftbefehle gegen zehn der mutmasslichen CIA Agenten, die im Entführungsfall von Khaled el-Masri verwickelt sein sollen. ("Regierung streitet über Fall El Masri" von Damir Frass)

Partners in crime: Europe’s role in US renditions
AI Index: EUR 01/008/2006 vom 14 June 2006

Darin mahnt Amnesty International:
>>Renditions involve conduct that is criminal under international, regional and national law. Enforced disappearance and torture are crimes under international law. All states are obliged to bring to justice those responsible, including those whose conduct involves complicity,(14) for such crimes, and to ensure that victims and their families receive full reparation.(15)

(14) UN Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, Article 4 (1).
(15) Human Rights Committee, General Comment No. 31 [80], para.18, 26 May 2004.
<<
Betroffene Staaten sind also verpflichtet, alle für die Verschleppung Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.

(Der Fall el-Masri wird unter Kapitel 4 beschrieben.)

siehe auch: Im Rechtsbruch vereint? EU muss ihre Rolle bei CIA-Flugaffäre klären (Berlin, 14. Juni 2006)



Saturday, July 07, 2007

 

* FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

16. Teil in der Serie
(siehe 4. Juli; Anfang unter: Februar 2007)
2.6. Die problematische Rolle der Schwurgerichte
Bis vor kurzem saßen die Schwurgerichte, die aus drei Berufsrichtern (dem ‘Gericht’) und einer Jury aus neun bis zwölf französischen Staatsbürgern zusammengesetzt waren, über relativ schwere Fälle zu Gericht, die ihnen von der chambre d’accusation zugewiesen wurden. Hierbei handelt es sich um eine Gerichtskammer, die sowohl über den Status eines Falls entscheidet, d.h. ob es zum Verfahren kommt, und wenn ja, welches Gericht darüber verhandeln soll. Während gegen die Entscheidungen des Strafgerichts – das geringfügigere Delikte verhandelt und ohne Geschworene tagt - ein Berufungsrecht existierte, gab es gegen Entscheidungen der Geschworenengerichte kein solches Recht. Es war somit Gericht in erster und letzter Instanz. (Das einzige Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Geschworenengerichts war ein pourvoi en cassation an die Strafkammer des Kassationsgerichts. Diese konnte jedoch nur Rechts- und Verfahrensfragen aufgreifen, nicht aber die Tatsachen analysieren, was die Möglichkeiten einer solchen Berufung stark einschränkte.)

Die generelle Begründung für das Fehlen eines vollständigen Berufungsmechanismus lag in der Überzeugung, dass gegen den Spruch einer Jury keine Berufung zulässig sei, weil das Volk der Souverän und als solcher unfehlbar sei. Der Ausschluss der Berufung außer zu technischen Fragen – etwa Verfahrensfehlern, stellte eine eindeutige und elementare Verletzung des Völkerrechts dar. Artikel 14(5) des IPbpR legt fest:
“Jeder, der wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist, hat das Recht, das Urteil entsprechend dem Gesetz durch ein höheres Gericht nachprüfen zu lassen.” 34

Noch verschärft wurde das Problem im Fall der “Anti-Terrorismus”-Gesetzgebung. Gesetz Nr. 86-1020 vom 9. September 1986 “über die Bekämpfung des Terrorismus” bestimmte, dass “Terrorismus”-Fälle vor einem speziellen Schöffengericht in Paris zu verhandeln sei, das ohne Jury tagt. Amnesty International war nicht nur darüber besorgt, dass “Terrorismus”-Verdächtige automatische vor das spezielle Schöffengericht gestellt wurden und somit kein Recht auf Berufung besaßen, sondern auch darüber, dass die Opfer oder die Familien der Opfer schwerer Verbrechen oder mutmaßlich schwerer Verbrechen, deren Fälle von Geschworenengerichten verhandelt wurden, kein Berufungsrecht besaßen.

Am 1. Januar 2001 wurde das Gesetz Nr. 2000-516 vom 15. Juni 2000 über die “Unschuldsvermutung” als Teil einer allgemeinen, umfassenden Justizreform in Frankreich eingeführt. Das Gesetz führte einen Berufungsmechanismus gegen Schöffengerichte ein, um das französische Recht in Einklang mit der EMRK zu bringen. Dem Gesetz zufolge konnte in einem Fall, über den ein Schöffengericht entschieden hat, bei einem anderen Schöffengericht Berufung eingelegt bzw. Wiederverhandlung beantragt werden, das dann in der Zusammensetzung von drei Richtern und zwölf statt neun Geschworenen verhandelte. Dieses Gericht musste die Zeugen in einer mündlichen Verhandlung noch einmal vorladen.

Diese Reform der Schöffengerichte war zwar willkommen und notwendig, aber nicht ausreichend, um die Bedenken von Amnesty International bezüglich der faktischen Straflosigkeit von Beamten mit Polizeibefugnissen zu zerstreuen, die von Schöffengerichten in erster Instanz freigesprochen wurden. Denn das Gesetz sah im Fall von Freisprüchen keine Berufung vor, wie sonst bei anderen Gerichten möglich. Dies bedeutete, dass gegen die äußerst umstrittenen Freisprüche in besonders schweren Fällen wie denen von Todor Bogdanovic (3.1.) oder Etienne Leborgne (3.2.) keine Berufung eingelegt werden konnte. Dies war um so mehr zu bedauern, weil die chambres d’accusation solche Fälle in der Tendenz ohnehin nur dann an Schöffengerichte überwiesen, in denen schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigten, dass ein Beamter mit Polizeibefugnissen gegen das Gesetz verstoßen habe.

Im Jahr 2002 erhielten die Staatsanwälte zwar das Recht, gegen Freisprüche Berufung einzulegen, nicht aber die Zivilparteien. Bei diesem Stand der Dinge hängt die Möglichkeit der Berufung in solchen Fällen einzig vom Willen der Staatsanwälte (avocats généraux) ab, die bislang oft eine zweideutige Rolle gespielt haben. Der Fall von Riad Hamlaoui (3.5.) illustriert die trotz Reform anhaltenden Bedenken von Amnesty International über die Rolle der Staatsanwälte in solchen Fällen und über den Ausschluss der Zivilparteien von der Möglichkeit, gegen umstrittene Urteile von Schöffengerichten Berufung einzulegen.

34 Eine ähnliche Bestimmung findet sich auch in Artikel 2 des 7. Protokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Thursday, July 05, 2007

 

Neues in Kürze

5. Juli 2007
Großbritannien: Die Law Lords entscheiden über "control orders";
Amnesty International empfiehlt deren Stop

Amnesty International veröffentlichte gestern als News Service:
United Kingdom: As Law Lords hear key cases on control orders, Amnesty International calls on the UK government to abandon them

Die vollständige Stellungnahme ist in Englisch zu finden unter: AI Index: EUR 45/011/2007
Nachfolgend eine kurze Erläuterung:


"control orders" wurden in GB im Zusammenhang mit der "Terror" Bekämpfung unter der Verordnung zur Verhütung von Terrorismus (Prevention of Terrorism Act 2005 - PTA) eingerichtet und erlauben den Behörden auf der Basis von geheimen Informationen die Verwendung von "Hausarrest", elektronischen Überwachungsgeräten, Ausgangssperren, Telephon- und Internetüberwachung und Einschränkung von Besuchern und Gesprächspartnern bei den Betroffenen. "control orders" sind auf ein Jahr beschränkt, können aber verlängert werden praktisch auf unbestimmte Zeit. Verstöße gegen die "control order" werden als Verbrechen beurteilt und mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.

Amnesty International ruft die Regierung von GB auf, in der Verfolgung von "Terror- Verdächtigen" eher strafrechtlich als willkürlich vorzugehen. [Der "Terror"- Begriff ist nach wie vor nicht klar strafrechtlich definiert, weder national noch international.]
* * *
Das Europaratkomittee zur Verhütung von Folter (CPT) hat einen Bericht über seinen Besuch in Italien veröffentlicht.
"Strasbourg, 05.07.2007 – The Council of Europe's Committee for the prevention of torture and inhuman or degrading treatment or punishment (CPT) has published today its report on the ad hoc visit to Italy in June 2006, together with the Italian authorities’ response. These documents have been made public at the request of the Italian authorities. [...]"
Der Bericht ist in Französisch als PDF zu finden auf der Webseite der CPT.
Die Antwort der italienischen Regierung ist dort in Englisch, ebenfalls als PDF.

Belange: Behandlung von verhafteten Immigranten
Besuche: ehemalige Lager für Ausländer in Agrigento, Erste Hilfe - und Unterstützungszentrum in Lampedusa, Aufnahme- und Sammellager für Ausländer bei Crotone und für Ausländerinnen bei Ragusa. Die CPT untersuchte auch Fragen zur Auslieferung bei den Flughäfen von Crotone und Lampedusa.

Wednesday, July 04, 2007

 

FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

15. Teil in der Serie
(siehe 1. Juli; Anfang unter: Februar 2007)

2.5. Nominale oder nur symbolische Strafen
Neben einer Reihe von sehr umstrittenen Freisprüchen in Prozessen gegen Polizeibeamte gibt es noch einen weiteren Faktor, der zu einem Klima faktischer Straflosigkeit beiträgt: die Verhängung nominaler Strafen. Oft sind es die Staatsanwälte, die nur symbolische Strafen beantragen, und die Gerichte gehen dann trotz der Schwere der Tat darauf ein. 1997 äußerte das CAT in Bezug auf ein anderes westeuropäisches Land Bedenken über die Verhängung “symbolischer Strafen, die nicht einmal eine Haftstrafe vorsahen”, wenn Beamte der Verübung von Folterhandlungen beschuldigt wurden.32 Amnesty International ist der Überzeugung, dass ähnliche Bedenken heute auch gegenüber Frankreich angebracht sind, sowohl in Fällen von Folterungen oder Misshandlungen als auch bei illegaler oder unverhältnismäßiger Gewaltanwendung mit Todesfolge oder Körperverletzungen.

In den meisten Fällen von Todesschüssen, die zu einer Verurteilung geführt haben, überschreiten die Strafen selten eine auf Bewährung ausgesetzte Gefängnisstrafe. Es wäre falsch, zu behaupten, dass ein Polizist, der einen Tatverdächtigen erschossen hat, nie mit einer längeren Haftstrafe rechnen muss, doch ist dies höchst ungewöhnlich und setzt voraus, dass der Beamte nachweislich offenkundig rechtswidrig gehandelt hat oder dass er vorbestraft ist oder schon vorher Disziplinarstrafen erhalten hat. 33 In den meisten Fällen scheuen sich die Staatsanwälte, Richter bzw. Geschworenen jedoch, eine echte Gefängnisstrafe zu verhängen. Nach Artikel 734 der Strafprozessordnung kann ein Richter ein gutes Dienstzeugnis und andere Faktoren wie Reue oder Eingeständnis des Fehlers berücksichtigen, wenn er eine Strafe auf Bewährung verhängt, er muss diese Entscheidung jedoch nicht rechtfertigen. In der Praxis kommen Beamte, die einer illegalen Tötung für schuldig befunden wurden, jedoch fast immer in Genuss einer Bewährungsstrafe nach Artikel 734. Der Großteil der in diesem Bericht dokumentierten Fälle betrifft entweder umstrittene Freisprüche oder symbolische Strafen, selbst wenn das Gericht eingeräumt hat, dass es sich um einen äußerst schwerwiegenden Fall handle.

Rachid Ardjouni, ein 17-jähriger Jugendlicher algerischer Abstammung, wurde im April 1993 mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet. Der Polizeibeamte wurde des (vorsätzlichen) Mordes schuldig gesprochen und zu 24 Monaten Gefängnis verurteilt, von denen 16 zur Bewährung ausgesetzt wurden. Im Mai 1996 setzte das Berufungsgericht von Douai die Strafe herab, obwohl der Beamte betrunken gewesen war (siehe die Jahresberichte von Amnesty International von 1994 bis 1997). Zudem erhöhte das Gericht den zur Bewährung ausgesetzten von 16 auf 18 Monate und kürzte den Betrag, der der Familie des Verstorbenen als Entschädigung und Wiedergutmachung zu zahlen war. Das Gericht hob sogar die Entscheidung des Strafgerichts auf, die Verurteilung des Beamten ins Führungszeugnis (casier judiciaire) aufzunehmen. Das bedeutete, dass der Beamte weiter im Polizeidienst aktiv bleiben und Waffen tragen durfte.

Seitdem scheint es wenig Veränderung in der Praxis der symbolischen Urteile gegeben zu haben. Weitere Beispiele dafür sind der Fall des unbewaffneten minderjährigen Habib Ould Mohamed (3.4.), der im Dezember 1998 erschossen und am Straßenrand liegen gelassen wurde, was das Gericht als “in mehrfacher Hinsicht unprofessionellen Fehler, als unvorsichtiges und ungeschicktes Verhalten” des Beamten bezeichnete, der entgegen der Vorschriften nicht einmal den Schusswaffengebrauch gemeldet hatte. Dennoch erhielt der Beamte nur eine auf Bewährung ausgesetzte Haftstrafe. Im Fall von Riad Hamlaoui (3.5.), der im Jahr 2000 von einem Polizisten erschossen wurde, argumentierte das Gericht, es handle sich zwar um eine schwere Straftat, es bringe aber auch nichts, den Beamten zu inhaftieren. Sein Vorgehen sei einer faden, einseitigen Ausbildung zuzuschreiben. Der Polizeibeamte wurde zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

32 Abschließende Bemerkungen des Komitees gegen die Folter (CAT): Spain. UN Doc. A/53/44, 27. November 1997, Paragraph 128. Nach den Worten des CAT, “scheinen die Strafen, die gegen wegen Folterhandlungen angeklagte Beamte verhängt werden und oft nur symbolischen Charakter haben, ohne eine gewisse Zeit in Haft nach sich zu ziehen, einen Grad von Nachsicht anzudeuten, die der Strafe die abschreckende und exemplarische Wirkung nimmt, die sie besitzen sollte …” ibid. Das CAT war der Ansicht, dass härtere Strafen dazu beitragen würden, die Praxis der Folter auszumerzen.

33 Im Dezember 1997 wurde Fabrice Fernandez während des Verhörs in der Polizeiwache von einem Polizisten erschossen. Das Opfer war mit Handschellen gefesselt. Der Beamte, der schon früher wegen Körperverletzung vom Polizeidienst suspendiert worden war, wurde im Dezember 1999 wegen Mordes (AdÜ: der Begriff ‚murder’ bzw. ‚Mord’ ist hier falsch, es handelt sich um vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge “violences volontaires avec arme ayant entraîné la mort sans intention de la donner”) zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Im August 1998 wurde Eric Benfatima, der um Zigaretten bettelte, von einem Beamten erschossen, der bei der Verfolgungsjagd auf der Straße vier Schüsse auf ihn feuerte. Der Beamte wurde vom Staatsanwalt wie auch der Verteidigung als guter Beamter dargestellt, der nur an einer Nervenkrise litt. Auch er wurde unter der selben Anklage im Juni 2000 zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt.

Sunday, July 01, 2007

 

FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

14. Teil in der Serie
(siehe 17. Juni; Anfang unter: Februar 2007)
2.4. Verschleppte Gerichtsverfahren
Das Völkerrecht sieht eine zügige Untersuchung von Anzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen vor. So heißt es in Artikel 12 des UN-Anti-Folter-Abkommens: “Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass seine zuständigen Behörden umgehend eine unparteiische Untersuchung durchführen, sobald ein hinreichender Grund für die Annahme besteht, dass in einem seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebiet eine Folterhandlung begangen wurde.” Strafverfahren sind in angemessener Zeit einzuleiten und abzuschließen. Dies ist sowohl ein Recht des Angeklagten 29 und wie auch Teil des Rechts auf “wirksame Abhilfe” derer, deren Rechte verletzt wurden 30 .

1997 zeigte sich das UN-Menschenrechtskomitee besorgt “über Verzögerungen und Verschleppungen bei der Untersuchung und Strafverfolgung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen”. 31 Eine Reihe von Fällen, zu denen Amnesty International gearbeitet hat, veranschaulichen das echte Problem langer Verzögerungen und mangelnden Engagements bei Strafverfahren, in denen es um Anzeigen gegen Beamte mit Polizeibefugnissen geht.

Ein Bespiel hierfür ist Lucien Djoussouvi, ein Staatsangehöriger des Benin, für den sich Amnesty International eingesetzt hat. 1996 wurden zwei französische Polizeibeamte für schuldig befunden, gegen ihn illegale Gewalt angewandt und ihm Verletzungen zugefügt zu haben. Sie erhielten jeder 18 Monate Gefängnis auf Bewährung und mussten Schadenersatz zahlen. Das Skandalöse daran war, dass die Untersuchung und die Verhandlung insgesamt fünf Jahre und vier Monate dauerten, bis das Verfahren abgeschlossen war. Ein Anwalt, der den Prozess im Auftrag von Amnesty International beobachtete, erklärte, dass er die Erklärungen des Staatsanwalts, mit denen er die Dauer des Verfahrens zu rechtfertigen suchte, nicht für überzeugen hielt.

Ein weiteres Beispiel ist Mourad Tchier, ein junger Mann algerischer Herkunft, der in Saint-Fons, nahe Lyon, einen tödlichen Schuss in den Rücken erhielt. Der unbewaffnete Mourad Tchier wurde 1993 erschossen, als er versuchte, aus dem Polizeigewahrsam zu entkommen. Der Fall zeichnete sich durch Unregelmäßigkeiten des Prozesses und ständige Verzögerungen aus. Gegen den Polizist, der den tödlichen Schuss abgegeben hatte, wurde erst Anklage erhoben, nachdem eine Zivilpartei Anzeige erstattet hatte – mit anderen Worten, nachdem die Familie aktiv geworden war. Eine Rekonstruierung der tödlichen Schussabgabe fand erst zwei Jahre nach dem Tod des Opfers statt. 1998 schließlich wurde ein Polizist zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt.

Einige der unten beschriebenen Fälle beleuchten diesen Aspekt faktischer Straflosigkeit. Am 25. März 1998, noch vor dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom Juli 1999 zum Fall von Ahmed Selmouni (5.2.), stellte die Europäische Menschenrechtskommission fest, dass Frankreich im Fall Selmounis Artikel 6 der EMRK verletzt habe, der einen fairen Prozess in angemessener Zeit garantiert. Nach Auffassung der Kommission ist das Kriterium der “angemessenen Zeit” unter folgenden Aspekten zu beurteilen:
• der Komplexität des Falls;
• dem Verhalten der Prozessparteien;
• dem Verhalten der Behörden.

Die Kommission stellte fest, dass zwar schon im März 1993 eine Untersuchung der Vorwürfe von Ahmed Selmouni eingeleitet wurde – aber auch erst, nachdem der Beschwerdeführer sich dem Verfahren als Zivilpartei angeschlossen hatte, dass erst 1997 durch einen Untersuchungsrichter amtliche Ermittlungen gegen Polizeibeamte eröffnet wurden, und dass die richterliche Untersuchung noch vier Jahre und acht Monate nach ihrer Eröffnung andauerte, obwohl der Fall zwar schwerwiegend, aber keineswegs besonders komplex war. Die Kommission fügte hinzu, dass angesichts der Schwere der Vorwürfe und der Länge der verstrichenen Zeit seit den Ereignissen nicht behauptet werden könne, dass die Behörden den nötigen Eifer an den Tag gelegt hätten, der im Interesse einer zügigen Ermittlung erforderlich sei.

Die Fälle von Youssef Khaïf (polizeilicher Todesschuss) und Aïssa Ihich (Tod im Gewahrsam) zeigen diesen Mangel mit schockierender Deutlichkeit. Es dauerte 10 Jahre, bis der Fall von Youssef Khaïf, der 1991 ums Leben kam, vor Gericht gelangte. Auch der von Aïssa Ihich (4.1.), der ebenfalls 1991 starb, dauerte 10 Jahre. So lange auf den Ausgang des Verfahrens warten zu müssen, ist nicht nur für die Familie und Angehörigen des Opfers ein Problem, sondern belastet u.U. auch die beteiligten Polizeibeamten.

Amnesty International ist über die Existenz einer “Justiz zweier Geschwindigkeiten” besorgt, wenn die Verfahren Polizisten betreffen. Ein Beispiel dafür ist Omar Baha. So verwarf das Strafgericht von Paris im Februar 2003 die gegen ihn im Dezember 2002 von der Nationalpolizei erhobenen Anklagepunkte des “Widerstands gegen die Festnahme”, “beleidigenden Verhaltens” und “Anstiftung zum Aufruhr ” (incitation à l’émeute) – wobei die letztgenannte Beschuldigung im französischen Strafgesetzbuch gar nicht existiert, aber dafür herhalten musste, um die Verlängerung der Haft im Polizeigewahrsam zu rechtfertigen. Omar Baha seinerseits hatte gegen die Beamten der Nationalpolizei Anzeige wegen Misshandlung erstattet. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts waren die Ermittlungen gegen die von Omar Baha angezeigten Beamten noch immer in Gang – zwei Jahre, nachdem die Anzeige der Beamten gegen ihn schon vor Gericht verhandelt und entschieden worden ist.

29 Siehe etwa Artikel 14(3)(c) des IPbpR.
30 Siehe etwa Artikel 2(3) des IPbpR.
31 HRC concluding observations, Paragraph 15.

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