Wednesday, July 04, 2007

 

FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

15. Teil in der Serie
(siehe 1. Juli; Anfang unter: Februar 2007)

2.5. Nominale oder nur symbolische Strafen
Neben einer Reihe von sehr umstrittenen Freisprüchen in Prozessen gegen Polizeibeamte gibt es noch einen weiteren Faktor, der zu einem Klima faktischer Straflosigkeit beiträgt: die Verhängung nominaler Strafen. Oft sind es die Staatsanwälte, die nur symbolische Strafen beantragen, und die Gerichte gehen dann trotz der Schwere der Tat darauf ein. 1997 äußerte das CAT in Bezug auf ein anderes westeuropäisches Land Bedenken über die Verhängung “symbolischer Strafen, die nicht einmal eine Haftstrafe vorsahen”, wenn Beamte der Verübung von Folterhandlungen beschuldigt wurden.32 Amnesty International ist der Überzeugung, dass ähnliche Bedenken heute auch gegenüber Frankreich angebracht sind, sowohl in Fällen von Folterungen oder Misshandlungen als auch bei illegaler oder unverhältnismäßiger Gewaltanwendung mit Todesfolge oder Körperverletzungen.

In den meisten Fällen von Todesschüssen, die zu einer Verurteilung geführt haben, überschreiten die Strafen selten eine auf Bewährung ausgesetzte Gefängnisstrafe. Es wäre falsch, zu behaupten, dass ein Polizist, der einen Tatverdächtigen erschossen hat, nie mit einer längeren Haftstrafe rechnen muss, doch ist dies höchst ungewöhnlich und setzt voraus, dass der Beamte nachweislich offenkundig rechtswidrig gehandelt hat oder dass er vorbestraft ist oder schon vorher Disziplinarstrafen erhalten hat. 33 In den meisten Fällen scheuen sich die Staatsanwälte, Richter bzw. Geschworenen jedoch, eine echte Gefängnisstrafe zu verhängen. Nach Artikel 734 der Strafprozessordnung kann ein Richter ein gutes Dienstzeugnis und andere Faktoren wie Reue oder Eingeständnis des Fehlers berücksichtigen, wenn er eine Strafe auf Bewährung verhängt, er muss diese Entscheidung jedoch nicht rechtfertigen. In der Praxis kommen Beamte, die einer illegalen Tötung für schuldig befunden wurden, jedoch fast immer in Genuss einer Bewährungsstrafe nach Artikel 734. Der Großteil der in diesem Bericht dokumentierten Fälle betrifft entweder umstrittene Freisprüche oder symbolische Strafen, selbst wenn das Gericht eingeräumt hat, dass es sich um einen äußerst schwerwiegenden Fall handle.

Rachid Ardjouni, ein 17-jähriger Jugendlicher algerischer Abstammung, wurde im April 1993 mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet. Der Polizeibeamte wurde des (vorsätzlichen) Mordes schuldig gesprochen und zu 24 Monaten Gefängnis verurteilt, von denen 16 zur Bewährung ausgesetzt wurden. Im Mai 1996 setzte das Berufungsgericht von Douai die Strafe herab, obwohl der Beamte betrunken gewesen war (siehe die Jahresberichte von Amnesty International von 1994 bis 1997). Zudem erhöhte das Gericht den zur Bewährung ausgesetzten von 16 auf 18 Monate und kürzte den Betrag, der der Familie des Verstorbenen als Entschädigung und Wiedergutmachung zu zahlen war. Das Gericht hob sogar die Entscheidung des Strafgerichts auf, die Verurteilung des Beamten ins Führungszeugnis (casier judiciaire) aufzunehmen. Das bedeutete, dass der Beamte weiter im Polizeidienst aktiv bleiben und Waffen tragen durfte.

Seitdem scheint es wenig Veränderung in der Praxis der symbolischen Urteile gegeben zu haben. Weitere Beispiele dafür sind der Fall des unbewaffneten minderjährigen Habib Ould Mohamed (3.4.), der im Dezember 1998 erschossen und am Straßenrand liegen gelassen wurde, was das Gericht als “in mehrfacher Hinsicht unprofessionellen Fehler, als unvorsichtiges und ungeschicktes Verhalten” des Beamten bezeichnete, der entgegen der Vorschriften nicht einmal den Schusswaffengebrauch gemeldet hatte. Dennoch erhielt der Beamte nur eine auf Bewährung ausgesetzte Haftstrafe. Im Fall von Riad Hamlaoui (3.5.), der im Jahr 2000 von einem Polizisten erschossen wurde, argumentierte das Gericht, es handle sich zwar um eine schwere Straftat, es bringe aber auch nichts, den Beamten zu inhaftieren. Sein Vorgehen sei einer faden, einseitigen Ausbildung zuzuschreiben. Der Polizeibeamte wurde zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

32 Abschließende Bemerkungen des Komitees gegen die Folter (CAT): Spain. UN Doc. A/53/44, 27. November 1997, Paragraph 128. Nach den Worten des CAT, “scheinen die Strafen, die gegen wegen Folterhandlungen angeklagte Beamte verhängt werden und oft nur symbolischen Charakter haben, ohne eine gewisse Zeit in Haft nach sich zu ziehen, einen Grad von Nachsicht anzudeuten, die der Strafe die abschreckende und exemplarische Wirkung nimmt, die sie besitzen sollte …” ibid. Das CAT war der Ansicht, dass härtere Strafen dazu beitragen würden, die Praxis der Folter auszumerzen.

33 Im Dezember 1997 wurde Fabrice Fernandez während des Verhörs in der Polizeiwache von einem Polizisten erschossen. Das Opfer war mit Handschellen gefesselt. Der Beamte, der schon früher wegen Körperverletzung vom Polizeidienst suspendiert worden war, wurde im Dezember 1999 wegen Mordes (AdÜ: der Begriff ‚murder’ bzw. ‚Mord’ ist hier falsch, es handelt sich um vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge “violences volontaires avec arme ayant entraîné la mort sans intention de la donner”) zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Im August 1998 wurde Eric Benfatima, der um Zigaretten bettelte, von einem Beamten erschossen, der bei der Verfolgungsjagd auf der Straße vier Schüsse auf ihn feuerte. Der Beamte wurde vom Staatsanwalt wie auch der Verteidigung als guter Beamter dargestellt, der nur an einer Nervenkrise litt. Auch er wurde unter der selben Anklage im Juni 2000 zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt.

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