Sunday, July 01, 2007

 

FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

14. Teil in der Serie
(siehe 17. Juni; Anfang unter: Februar 2007)
2.4. Verschleppte Gerichtsverfahren
Das Völkerrecht sieht eine zügige Untersuchung von Anzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen vor. So heißt es in Artikel 12 des UN-Anti-Folter-Abkommens: “Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass seine zuständigen Behörden umgehend eine unparteiische Untersuchung durchführen, sobald ein hinreichender Grund für die Annahme besteht, dass in einem seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebiet eine Folterhandlung begangen wurde.” Strafverfahren sind in angemessener Zeit einzuleiten und abzuschließen. Dies ist sowohl ein Recht des Angeklagten 29 und wie auch Teil des Rechts auf “wirksame Abhilfe” derer, deren Rechte verletzt wurden 30 .

1997 zeigte sich das UN-Menschenrechtskomitee besorgt “über Verzögerungen und Verschleppungen bei der Untersuchung und Strafverfolgung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen”. 31 Eine Reihe von Fällen, zu denen Amnesty International gearbeitet hat, veranschaulichen das echte Problem langer Verzögerungen und mangelnden Engagements bei Strafverfahren, in denen es um Anzeigen gegen Beamte mit Polizeibefugnissen geht.

Ein Bespiel hierfür ist Lucien Djoussouvi, ein Staatsangehöriger des Benin, für den sich Amnesty International eingesetzt hat. 1996 wurden zwei französische Polizeibeamte für schuldig befunden, gegen ihn illegale Gewalt angewandt und ihm Verletzungen zugefügt zu haben. Sie erhielten jeder 18 Monate Gefängnis auf Bewährung und mussten Schadenersatz zahlen. Das Skandalöse daran war, dass die Untersuchung und die Verhandlung insgesamt fünf Jahre und vier Monate dauerten, bis das Verfahren abgeschlossen war. Ein Anwalt, der den Prozess im Auftrag von Amnesty International beobachtete, erklärte, dass er die Erklärungen des Staatsanwalts, mit denen er die Dauer des Verfahrens zu rechtfertigen suchte, nicht für überzeugen hielt.

Ein weiteres Beispiel ist Mourad Tchier, ein junger Mann algerischer Herkunft, der in Saint-Fons, nahe Lyon, einen tödlichen Schuss in den Rücken erhielt. Der unbewaffnete Mourad Tchier wurde 1993 erschossen, als er versuchte, aus dem Polizeigewahrsam zu entkommen. Der Fall zeichnete sich durch Unregelmäßigkeiten des Prozesses und ständige Verzögerungen aus. Gegen den Polizist, der den tödlichen Schuss abgegeben hatte, wurde erst Anklage erhoben, nachdem eine Zivilpartei Anzeige erstattet hatte – mit anderen Worten, nachdem die Familie aktiv geworden war. Eine Rekonstruierung der tödlichen Schussabgabe fand erst zwei Jahre nach dem Tod des Opfers statt. 1998 schließlich wurde ein Polizist zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt.

Einige der unten beschriebenen Fälle beleuchten diesen Aspekt faktischer Straflosigkeit. Am 25. März 1998, noch vor dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom Juli 1999 zum Fall von Ahmed Selmouni (5.2.), stellte die Europäische Menschenrechtskommission fest, dass Frankreich im Fall Selmounis Artikel 6 der EMRK verletzt habe, der einen fairen Prozess in angemessener Zeit garantiert. Nach Auffassung der Kommission ist das Kriterium der “angemessenen Zeit” unter folgenden Aspekten zu beurteilen:
• der Komplexität des Falls;
• dem Verhalten der Prozessparteien;
• dem Verhalten der Behörden.

Die Kommission stellte fest, dass zwar schon im März 1993 eine Untersuchung der Vorwürfe von Ahmed Selmouni eingeleitet wurde – aber auch erst, nachdem der Beschwerdeführer sich dem Verfahren als Zivilpartei angeschlossen hatte, dass erst 1997 durch einen Untersuchungsrichter amtliche Ermittlungen gegen Polizeibeamte eröffnet wurden, und dass die richterliche Untersuchung noch vier Jahre und acht Monate nach ihrer Eröffnung andauerte, obwohl der Fall zwar schwerwiegend, aber keineswegs besonders komplex war. Die Kommission fügte hinzu, dass angesichts der Schwere der Vorwürfe und der Länge der verstrichenen Zeit seit den Ereignissen nicht behauptet werden könne, dass die Behörden den nötigen Eifer an den Tag gelegt hätten, der im Interesse einer zügigen Ermittlung erforderlich sei.

Die Fälle von Youssef Khaïf (polizeilicher Todesschuss) und Aïssa Ihich (Tod im Gewahrsam) zeigen diesen Mangel mit schockierender Deutlichkeit. Es dauerte 10 Jahre, bis der Fall von Youssef Khaïf, der 1991 ums Leben kam, vor Gericht gelangte. Auch der von Aïssa Ihich (4.1.), der ebenfalls 1991 starb, dauerte 10 Jahre. So lange auf den Ausgang des Verfahrens warten zu müssen, ist nicht nur für die Familie und Angehörigen des Opfers ein Problem, sondern belastet u.U. auch die beteiligten Polizeibeamten.

Amnesty International ist über die Existenz einer “Justiz zweier Geschwindigkeiten” besorgt, wenn die Verfahren Polizisten betreffen. Ein Beispiel dafür ist Omar Baha. So verwarf das Strafgericht von Paris im Februar 2003 die gegen ihn im Dezember 2002 von der Nationalpolizei erhobenen Anklagepunkte des “Widerstands gegen die Festnahme”, “beleidigenden Verhaltens” und “Anstiftung zum Aufruhr ” (incitation à l’émeute) – wobei die letztgenannte Beschuldigung im französischen Strafgesetzbuch gar nicht existiert, aber dafür herhalten musste, um die Verlängerung der Haft im Polizeigewahrsam zu rechtfertigen. Omar Baha seinerseits hatte gegen die Beamten der Nationalpolizei Anzeige wegen Misshandlung erstattet. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts waren die Ermittlungen gegen die von Omar Baha angezeigten Beamten noch immer in Gang – zwei Jahre, nachdem die Anzeige der Beamten gegen ihn schon vor Gericht verhandelt und entschieden worden ist.

29 Siehe etwa Artikel 14(3)(c) des IPbpR.
30 Siehe etwa Artikel 2(3) des IPbpR.
31 HRC concluding observations, Paragraph 15.

Comments: Post a Comment



<< Home

This page is powered by Blogger. Isn't yours?