Sunday, March 04, 2007

 

FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

1.1. Die Justiz
6. Teil in der Serie (siehe 24. Februar)

Die französische Justiz umfasst Staatsanwälte und Richter (darunter auch die unabhängigen Untersuchungs- oder Ermittlungsrichter – juges d’instruction – und Haftrichter - juges des libertés et de la détention(5) ). Die Staatsanwälte, die zum ministère public gehören, sind dem Justizminister verantwortlich. Die Staatsanwälte (m/f) tragen unterschiedliche Titel, je nach ihrer Aufgabe oder dem Gericht, dem sie zugeordnet sind. Eine allgemeine Bezeichnung für die Strafverfolgungsbehörde ist le parquet. Da die Strafverfolgung seinem/ihrem Ermessen unterworfen ist, entscheidet der/die Staatsanwalt/wältin, wie ein Fall einzustufen ist. Entscheidet er/sie, den Fall zu verfolgen, kann er/sie die Angeklagten entweder an ein Strafgericht oder ein Polizeigericht überweisen (wenn der Sachverhalt klar und entscheidungsreif ist), oder er/sie kann verlangen, dass der Fall von einem/r Untersuchungsrichter/in übernommen wird, wenn es sich um einen komplexeren Fall handelt, der weitere Ermittlungen erfordert. Dieses Verfahren heißt dann ouverture d’une information. Eine Beschwerde kann auch als strafrechtlich irrelevant zu den Akten gelegt werden, dies heißt dann classement sans suite.

Viele Beschwerden gegen Beamte mit Polizeibefugnissen wegen Misshandlung werden auf diese Art erledigt, entweder, weil der Staatsanwalt den Fall für nicht geeignet oder unzureichend substantiiert hält, in vielen Fällen auch, weil seiner Meinung nach nicht genügend Beweise vorliegen, um eine Strafverfolgung aufrecht zu erhalten. Opfer oder ihre Angehörige können im Falle von Verbrechen (crimes) als Zivilpartei an den Ermittlungsrichter herantreten, im Fall von Übertretungen oder einfachen Straftaten (contraventions oder délits) dient die citation directe diesem Zweck. Wenn man sich einem Verfahren als Zivilpartei anschließt, erhält man Zugang zu Informationen, die man andererseits – wegen der Geheimhaltung der Ermittlungen – nicht u.U. erhält. Allerdings ist dies eine kostspielige Angelegenheit. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat deshalb die französischen Behörden kürzlich kritisiert, weil sie gegen das Prinzip einer wirksamen amtlichen Untersuchung des Todes einer inhaftierten Person verstoßen hatten. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass es zu einer wirksamen Untersuchung gehört, automatisch auch die Angehörigen von Opfern über den Gang des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten, ohne dass sie sich als Zivilpartei anschließen müssen. Die französischen Behörden hatten sich zu ihrer Rechtfertigung auf diese Möglichkeit berufen. (6)

Laut jüngsten Schätzungen enden 80 Prozent der Beschwerden, die von Zivilparteien eingebracht werden, mit der Entscheidung, diese mangels erfüllten Tatbestands zu archivieren (ordonnance de non-lieu). (7)
Im September 2004 machte der Vorsitzende des Pariser Gerichtshofs den Vorschlag, die Möglichkeiten von Zivilparteien, sich einem Verfahren mit eigenen Beschwerden (und Anwälten m./f.) anzuschließen, zu beschränken. Ihre Beschwerden sollten erst einem Staatsanwalt (procureur de la République) vorgelegt werden, bevor ein Ermittlungsrichter eine Untersuchung eröffnen kann. In den Fällen, die Amnesty International interessieren, treten die Opfer oder ihre Angehörigen fast ausnahmslos als Zivilpartei des Verfahrens auf, gerade weil die Staatsanwälte bei der wirksamen Verfolgung der Vorwürfe versagen. Daher besteht die Gefahr, dass eine solche Neuerung das Problem der faktischen Straflosigkeit noch verschärfen würde.

(5) Der juge des libertés et de la détention, wurde durch das Gesetz Nr. 2000-516 vom 15. Juni 2000 geschaffen. Er hat die traditionellen Aufgaben des Ermittlungsrichters übernommen, soweit in bestimmten Bereichen wie dem Drogenhandel über vorläufige Haft, Verlängerung der Verwaltungshaft oder des Polizeigewahrsams zu entscheiden ist.
(6) Der Fall Slimani v. France (Eingabe Nr. 57671/00), Urteil vom 27. Juli 2004 (siehe Abschnitt 4 dieses Berichts).
(7) Zitiert in Le Monde, 9. September 2004.

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