Tuesday, February 13, 2007

 

FRANKREICH: SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

2. Teil in der Serie (siehe 7. Februar)
Einführung (fortgesetzt)
Amnesty International hat die Überzeugung gewonnen, dass das anhaltende Versagen der Regierung, diese Rechtsverletzungen anzugehen, ein Klima faktischer Straflosigkeit für Beamte mit Polizeibefugnissen geschaffen hat. Das Ergebnis ist eine Justiz “zweier Geschwindigkeiten” – eine schnelle für Anzeigen der Polizei, und eine im Schneckentempo, wenn mutmaßliche Opfer missbräuchlicher Polizeigewalt Anzeige erstatten. Dies erzeugt ein Gefühl der Straflosigkeit und erweckt in der Öffentlichkeit nicht gerade den Eindruck, dass auch Beamte mit Polizeibefugnissen sich an die Gesetze halten müssen und für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden.

Ein anschauliches Beispiel für die Bedenken von Amnesty International über die faktische Straflosigkeit stellt der Fall von Ahmed Selmouni (Abschnitt 5.2.) dar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in seiner Entscheidung vom Juli 1999 festgestellt, dass Frankreich in diesem Fall gegen das Folterverbot und gegen das Recht auf einen fairen Prozess in angemessener Zeit verstoßen hat. Erst Jahre nach den Rechtsverstößen war der Fall an die französischen Gerichte gelangt, und dies auch nur, weil der Europäische Gerichtshof schon ermittelte. Selbst dann schlug der Versuch eines französischen Gerichts, einen Polizeibeamten angesichts der Schwere des Falls zu einer “exemplarischen” Gefängnisstrafe zu verurteilen, fehl, weil die Polizeigewerkschaften auf die Straße gingen, um ihren Unmut kund zu tun. Zudem kamen die Verurteilten in den Genuss einer diesmal sehr rasch angesetzten Berufungsverhandlung, auf der der Staatsanwalt sich für die “Ehre” der Täter einsetzte. Dies führte zu einer strafmildernden Einstufung der Straftaten, für die die Beamten verurteilt wurden, und ermöglichte ihnen, ihre Polizeilaufbahn fortzusetzen.

Fast alle Fälle, von denen Amnesty International erfahren hat, betreffen Personen nicht-europäischer Abstammung, oft nordafrikanischer oder schwarzafrikanischer Herkunft oder aus den französischen Überseegebieten und –territorien (DOM-TOMs). Dies selbst stellt zwar noch keinen direkten Beweis für institutionalisierten Rassismus innerhalb der Rechtsschutzorgane dar,3 die Organisation hat jedoch festgestellt, dass riskante Vorgehensweisen oder “eine Reihe von Missgriffen”, wie die Gerichte dies gerne bezeichnen, um leichte oder nur symbolische Strafen zu rechtfertigen – vorwiegend gegenüber diesem Personenkreis anzutreffen war. Dieses polizeitypische Verhalten weist auf eine amtliche Wahrnehmung hin, solche Personen als größeres Sicherheitsrisiko oder als wahrscheinlichere Straftäter zu betrachten als weiße oder nicht-muslimische französische Staatsbürger oder andere Europäer.

3 Es existieren keine landesweit erfassten statistische Daten über die Zahl der erstatteten Anzeigen, aufgeschlüsselt nach dem Anteil von Personen nicht-französischer Herkunft oder Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Comments: Post a Comment



<< Home

This page is powered by Blogger. Isn't yours?