Saturday, February 17, 2007
FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT
Einführung (fortgesetzt)
Auch hat Amnesty International in einer Reihe von Fällen festgestellt, dass rassistische Beleidigungen laut Berichten von polizeilichen Misshandlungen begleitet wurden. Eine rassistische Einstellung bei Polizeibeamten bedeutet, dass ein bestimmter Personenkreis besonders leicht Diskriminierungen und Misshandlungen durch Polizisten zum Opfer fällt. Diskriminierung kann auch die Straflosigkeit von Polizeibeamten begünstigen, die tatsächliche oder scheinbare Angehörige von sozialen Randgruppen misshandeln. Oft können die Beamten dann im sicheren Bewusstsein handeln, dass ihr Verhalten keiner – zumindest aber keiner gründlichen Prüfung unterzogen wird. Eine Folge dieses Klimas der Straflosigkeit ist, dass Menschen, deren Rechte verletzt wurden, zum Schweigen verdammt sind, sei es, weil sie sich nicht in der Lage fühlen, Anzeige zu erstatten, sei es, weil die Polizei oder die Staatsanwälte es vorziehen, Anzeigen nicht entgegen zu nehmen, nicht zu registrieren bzw. nicht weiter zu verfolgen.
Der Mangel an öffentlichem Vertrauen, dass die Polizei alle gleich behandelt, ist besonders in den sozialen Brennpunkten, den sogenannten "quartiers sensibles" zu spüren, aus denen viele Opfer polizeilicher Misshandlungen und Gewaltexzesse stammen. Die Spannungen zwischen der Polizei und der Bevölkerung dieser Viertel verschärfen sich, wenn Fälle mutmaßlicher Opfer missbräuchlicher Polizeigewalt durch die Opfer selbst oder ihre Angehörigen schließlich vor Gericht gelangen, dann aber mit höchst kontroversen Freisprüchen oder rein symbolischen Strafen für die Polizeibeamten enden. Zu solchen Anlässen drängen sich in den Gerichtssälen auf der einen Seite die Freunde und Verwandte des Opfers, auf der anderen Seite die Polizeibeamten, und gewaltsame Szenen im Gerichtsgebäude sind keine Seltenheit. Dies verstärkt auf beiden Seiten das Gefühl des „Wir gegen die“.
Wenn Amnesty International den Ausdruck „faktische Straflosigkeit“ benutzt, heißt dies nicht unbedingt, dass die Täter völlig straffrei ausgehen. Er umschreibt vielmehr eine Reihe von Faktoren, die dazu beitragen, dass die Justiz weitgehend in ihrer Aufgabe versagt, Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit dem Gesetzesvollzug wirksam zu untersuchen, zu verfolgen und zu bestrafen.Die Faktoren, die zur faktischen Straflosigkeit beitragen und die durch die Fälle in diesem Bericht illustriert werden sollen, umfassen:
- den Mangel an zügigem Zugang zu einem Rechtsbeistand auf Polizeiwachen für eine zunehmende Anzahl von Festgenommenen, die unter einem breiten Spektrum von Vorwürfen, die unter den Begriff „organisiertes Verbrechen“ subsumiert werden, bzw. unter „Terrorismusverdacht“ festgehalten werden, sowie das nach wie vor geltende Verbot, Verhöre erwachsener Gefangener auf Video aufzuzeichnen;
- das Versäumnis, die Rechte von Gefangenen im Polizeigewahrsam uneingeschränkt zu achten, wozu u.a. das Recht auf medizinische Hilfe und das Recht der Gefangenen, einen nahen Verwandten, Freund oder Arbeitgeber zu kontaktieren, gehören;
- die Schwierigkeiten, die auftauchen, wenn man auf einer Polizeiwache Anzeige gegen einen Polizeibeamten erstatten möchte, und die häufige Verwendung von Gegenanzeigen durch Polizeibeamte, um diejenigen einzuschüchtern, die gegen einen Beamten Anzeige erstatten wollen;
- den falsch verstandenen Korpsgeist, der die Beamten dazu anhält, ihre Kollegen oder Untergebenen zu decken, und eine Identifizierung der Täter unmöglich macht;
- das Versagen polizei-interner Beschwerdemechanismen, Misshandlungsvorwürfe, umstrittenen Schusswaffengebrauch oder Todesfälle im Gewahrsam zügig, gründlich und unparteiisch zu untersuchen;
- das Versäumnis der Regierung, einen wirksamen, unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung schwerer Menschenrechtsverletzungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen zu schaffen;
- das Versagen der Strafjustiz, angemessen auf Vorwürfe rassistischer Beleidigung oder diskriminierenden Verhaltens durch Beamte mit Polizeibefugnissen zu reagieren;
- das Versagen der Strafverfolgungsbehörden, für eine wirksame Verfolgung von Beamten mit Polizeibefugnissen zu sorgen, denen schwere Menschenrechtsverletzungen angelastet werden;
- eine zweifelhafte Auslegung der Begriffe “legitimer Verteidigung” (“défense légitime”) und des “Notstands” (“état de nécessité”);
- Urteile, die die Schwere der begangenen Tat offensichtlich nicht berücksichtigen;
- mangelnde Erfahrung oder Ausbildung, was von Richtern nicht selten als Begründung dafür angeführt wird, milde Strafen zu verhängen oder ganz von einer Sanktion abzusehen;
- strukturelle Schwächen, etwa das Fehlen geeigneter Berufungsinstanzen – hier zeichnet sich bei den Schwurgerichten eine allmähliche, aber nach wie vor ungenügende Besserung ab;
- in einigen Fällen das Versäumnis der Gerichte, die Gründe für ihre Entscheidung anzugeben. Dabei ist zu beachten, dass Schwurgerichte bei ihren Schuldsprüchen oder Freisprüchen hierzu nicht verpflichtet sind, da in diesem Fall einen Laienjury die Entscheidung trifft.