Saturday, February 24, 2007

 

FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

5. Teil in der Serie (siehe 21. Februar)

1. Das französische Rechtssystem

In diesem Abschnitt wird das französische Rechtssystem kurz skizziert, um verständlich zu machen, in welchem Rahmen die Kritik von Amnesty International einzuordnen ist.

Nach dem in Frankreich herrschenden „monistischen“ Rechtssystem haben internationale Verträge oder Abkommen, die ratifiziert oder verabschiedet wurden, automatisch Vorrang vor dem nationalen Recht (siehe Artikel 55 der französischen Verfassung). So muss die französische Regierung, die Gesetzgebung und die Rechtsprechung den Bestimmungen des Europäischen Abkommens zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (kurz: Europ. Menschenrechtskonvention - EMRK) und des UN-Abkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe (UN-Anti-Folter-Abkommen) Vorrang einräumen. Die Bestimmungen gelten gleichermaßen uneingeschränkt in allen Übersee-Territorien und Departments Frankreichs.

Die Rechtsprechung in Frankreich kennt zwei Instanzen sowie eine übergeordnete letzte Instanz. Das bedeutet, dass eine Entscheidung eines Gerichts der ersten Instanz vor einem Gericht der zweiten Instanz (Berufungsebene) angefochten werden kann. Über dem Berufungsgericht steht das Kassationsgericht (Cour de Cassation), das über die Gesetzmäßigkeit der Entscheidungen niederer Instanzen entscheidet (AdÜ: also keine Tatsacheninstanz darstellt). Gegen Entscheidungen des Kassationsgerichts sind im innerstaatlichen Rechtssystem gegen Berufungen zulässig. Wer der Auffassung ist, dass seine/ihre Rechte, wie sie im EMRK niedergelegt sind, verletzt wurden, und alle inländischen Rechtsmittel ausgeschöpft hat, kann innerhalb von sechs Monaten ein Verfahren vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof einleiten. In manchen Fällen nimmt der Europäische Gerichtshof auch Beschwerden an, wenn die inländischen Rechtsmittel noch nicht ausgeschöpft sind, und zwar dann, wenn diese sich ungebührlich in die Länge ziehen oder ungeeignet sind. [1]

Je nach Art des Falls gibt es verschiedene Strafgerichte. Vergehen oder Übertretungen werden vor sogenannten „Polizeigerichten“ (tribunaux de police) verhandelt. Ernstere Straftaten (délits) werden vor Strafgerichten verhandelt. Die schwerste Kategorie – Verbrechen (crimes) – werden vor Schöffengerichten verhandelt (cours d’assises). Gegen die Entscheidungen aller aufgeführten Gerichte ist Berufung zulässig, im Fall der Schöffengerichte allerdings erst seit kurzem, und gegen Freisprüche kann nur durch die beim Berufungsgericht angesiedelten Staatsanwälte (avocats généraux) Berufung eingelegt werden.

Beschwerden gegen staatliche Bedienstete wegen Beleidigung, Misshandlung oder Gewaltexzessen können auf verschiedenen Wegen vorgebracht werden: über den/die Staatsanwalt/wältin, den/die Ermittlungsrichter/in, Beschwerdegremien der Polizei oder die Polizeiaufsichtsbehörde, die Commission nationale de déontologie de la sécurité (CNDS). Keines dieser Verfahren ist ganz zufriedenstellend.

[1] Siehe etwa den Fall Ahmed Selmouni, Abschnitt 5.2.

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