Saturday, March 29, 2008

 

* FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

24. Teil in der Serie
(vom Original "France: The search for justice", AI Index EUR: 21/001/2005
übersetzt von Georg Warning; siehe 18. Januar 2008; Anfang unter: Februar 2007)


3.4. Habib Ould Mohamed
Am 13. Dezember 1998 wurde der 17-jährige Habib Ould Mohamed, ein Franzose algerischer Abstammung, der sich auf den Studiengang Buchhaltung vorbereitete, von einem Polizisten erschossen. Es folgten zehntägige Unruhen. Der amtierende Innenminister soll erklärt haben, dass dabei nach Angaben der IGPN “elementare Vorschriften” (“les prescriptions indispensables”) nicht eingehalten worden seien, und der damalige Premierminister bat die Familie und die Freunde von Habib Ould Mohamed, Vertrauen in die Justiz zu zeigen.

In der Nacht zum 13. Dezember 1998 gegen 3.30 Uhr wurden Habib Ould Mohamed und sein Freund “Amine” beim Versuch ertappt, in einen BMW einzubrechen, der auf einem Schulparkplatz in einem Bezirk von Toulouse geparkt war. Eine vierköpfige Polizeistreife sah, wie jemand den BMW verließ und zu einem anderen Fahrzeug, einem Peugeot zurückkehrte, mit dem die beiden gekommen waren. Die Streife stellte ihr Auto so hin, dass die Insassen des Peugeots nicht fliehen konnten. Ein Wachtmeister und ein Hilfspolizist zogen ihre Waffen. Der Wachtmeister stellte sich schussbereit vor das Auto, während ihn der andere hinter dem Auto absicherte. Der Peugeot konnte nicht mehr wegfahren.

Amine B., dem Kollegen von Habib Ould Mohamed, gelang es, durch die rechte Vordertür auszusteigen und zu fliehen, wobei er den Hilfsbeamten zu Boden stieß. Darauf gab der Hilfsbeamte einen Schuss ab. Derweil war der Wachtmeister damit beschäftigt, Habib Ould Mohamed aus dem Auto zu zerren, die Waffe noch immer in der Hand. Dabei löste sich ein Schuss und Habib Ould Mohamed wurde tödlich verletzt. Obwohl Polizisten jede Schussabgabe melden müssen, geschah dies hier nicht. Der Wachtmeister beschloss, keinen Bericht über den Schuss des Hilfsbeamten zu erstatten. Gleichzeitig behauptete er, er habe nicht bemerkt, selbst einen Schuss abgegeben zu haben. Er habe erst später festgestellt, dass er wohl versehentlich geschossen habe. Er habe zwar einen Schuss gehört, seine Waffe in dem Moment aber nicht kontrolliert. Er gab an, zuerst eine schussbereite Stellung eingenommen zu haben, weil er glaubte, die beiden Jugendlichen würden versuchen, ihn umzufahren, um zu fliehen. Er habe versucht, das Auto fahruntüchtig zu machen, indem er sich hineinbückte, um die Kabel durchzuschneiden. Dabei sei er in eine Handgemenge mit Habib Ould Mohamed geraten. Habib sei darauf "im Zeitlupentempo" die Straße entlang gewankt, wie sein Freund bemerkte. Die Polizeibeamten gaben an, vom Streifenwagen aus Ausschau nach den Flüchtigen gehalten zu haben, ohne sie aber zu finden. Es scheint sich um eine sehr flüchtige Suche gehandelt zu haben, Denn der Leichnam von Habib Ould Mohamed wurde später etwa 100 Meter vom Ort der Schussabgabe von einer Frau halb unter einem geparkten Fahrzeug liegend entdeckt.
Im August 2001 stand der Polizeiwachtmeister unter dem Vorwurf des Totschlags vor dem Strafgericht von Toulouse. Ihm wurde zum Vorwurf gemacht, den Jugendlichen durch Ungeschicklichkeit, Voreiligkeit, Unaufmerksamkeit und Nachlässigkeit bzw. durch die Nichterfüllung seiner gesetzlichen und beruflichen Verpflichtungen getötet zu haben. Am 6. September 2001 verurteilte das Gericht den Beamten zu einer dreijährigen Haftstrafe auf Bewährung.

Das Gericht argumentierte, dass das Ziehen der Waffe anfänglich angesichts der Umstände (Dunkelheit etc.) zwar gerechtfertigt gewesen sei, dass aber jede evtl. für den Beamten vorhandene Gefahr vorüber war, als er sich an die linke Seite des Wagens begeben hatte, der inzwischen nicht mehr wegfahren konnte. Ab diesem Zeitpunkt habe der Beamte jedoch mit der Waffe in der Hand “eine erstaunliche Serie leichtfertiger und ungeschickter Handlungen vorgenommen und unprofessionelle Fehler begangen”. 46

Wie in einer Reihe anderer Fälle wurde das Urteil von den Freunden und Angehörigen des Toten angesichts der milden Strafe mit wütenden Rufen und Tränen aufgenommen.

46 “Pourtant, dès cet instant, le Brigadier H. B. …- l’arme toujours à la main a commis une étonnante succession d’imprudences, de maladresses et de fautes professionnelles.”

= = =
Weiterführende Quellen
:
- Europe and Central Asia, Summary of Amnesty International's Concerns in the Region
January to June 2007; AI IndexEUR 01/010/2007 (eng)
(Westeuropa und Zentralasien - Anlass zur Sorge - Berichte aus der Region
Januar bis Juni 2007 - zusammengefasst von Amnesty International, Frankreich: Seite XLIII, speziell zur Polizeibrutalität (Policing concerns) : Seite XLV)

-
France; Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review
Second session of the UPR working group, 5-16 May 2008 (eng)
http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/ngos/AIFrance92.pdf
(Antrag von Amnesty International zu Menschenrechtsfragen in Frankreich für die Überprüfungskommission des UNO Menschenrechtsrats)

-
european network against racism online Magazin ENARgy vom Januar 2008 (eng)
http://cms.horus.be/files/99935/MediaArchive/pdffr/ENARgy_01_2008_version_ENfinal.pdf
Policing and ethnic & religious minorities
darin: The French police face-to-face with the inhabitants and young French people from immigrant backgrounds; Bernadette Hétier, Vice-President of Mouvement contre le Racisme et pour l’Amitié entre les Peuples (MRAP), Member of ENAR France (Seiten 10/11)

- Buchneuerscheinung:
Jim House und Neil MacManners "Paris 1961. Les Algériens, la terreur d'Etat et la mémoire"
Verlag Tallandier, Paris 2008, 538 Seiten, 25 Euro. (fr)
besprochen in: Sueddeutsche Zeitung vom 18. März 2008 von Johannes Willms:
"Die Schleier des Vergessens"

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