Friday, January 18, 2008

 

* FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

23. Teil in der Serie
(vom Original "France: The search for justice", AI Index EUR: 21/001/2005
übersetzt von Georg Warning; siehe 1. Oktober 2007; Anfang unter: Februar 2007)

3.3. Abdelkader Bouziane
In der Nacht des 17. Dezembers 1997 wurde der 16-jährige Abdelkader Bouziane, ein Einwohner von Dammarie-les-Lys (Seine-et-Marne), bei einer Straßensperre der Polizei in Fontainebleau erschossen. Abdelkader Bouziane hatte einen Mitfahrer, seinen Cousin Jamel Bouchareb, 19, als ein Streifenwagen sie zu verfolgen begann, laut Berichten, weil der Fahrer gegen die Straßenverkehrsordnung verstieß.

Als das Fahrzeug versuchte, in Fontainebleau eine Straßensperre zu durchbrechen, eröffneten zwei Beamte der Brigade zur Verbrechensbekämpfung (Brigade anticriminalité – BAC) der Nationalpolizei das Feuer. Sie töteten den 16-Jährigen mit einem Schuss ins Genick. Laut Berichten waren die Beamten auf das Fahrzeug zugelaufen, als es versuchte, die Blockade zu durchbrechen. Nur wenige Meter vor dem Auto hätten sie befürchtet, überfahren zu werden. Die Beamten gaben an, dass sie ihre Waffen aus Notwehr abgefeuert hätten. Ein Beamter gab zwei Schüsse ab.

Der andere Beamte gab ebenfalls zwei Schüsse ab. Eine Kugel prallte jedoch seitlich am Fenster des Fahrers ab und durchschlug den Körper des Fahrers im Genick. Jamel Bouchareb, der vom Beifahrersitz rausgezerrt wurde, erstattete Anzeige wegen versuchten Mordes und Misshandlung. Ein unabhängiger Zeuge soll angegeben haben, dass Jamel Bouchareb Boxhiebe in den Rücken und in den Bauch erhalten habe, auf den Boden geworfen, geschlagen und an den Kopf getreten worden sei. Jamel Bouchareb gab später an, dass sein Freund in Panik geraten sei, als er merkte, dass sie von einem Polizeiauto verfolgt wurden. Er habe versucht, die Straßensperre zu durchqueren, indem er rechts auf den Grünstreifen ausweichen wollte, musste jedoch bremsen, weil dort ein LKW geparkt war. Darauf habe er das Lenkrad umgeschlagen und das Auto angehalten, bevor auch nur ein Schuss gefallen war. 45

Nach der Erschießung kam es in Dammarie zu gewaltsamen Szenen zwischen Polizisten und Jugendlichen, oft ausländischer Abstammung. Angehörige der Familie von Abdelkader Bouziane appellierten, Ruhe zu wahren.

Ein ballistisches Gutachten soll zum Schluss gekommen sein, dass beide Beamten zwei Schüsse aus nächster Nähe abgegeben hätten, und dass zwei Schüsse auf Kopf- oder Schulterhöhe ins Fahrzeug zielten, als dieses an den Beamten vorbeifuhr oder schon vorbei gefahren war. Die behauptete Notwehr sei deshalb fraglich.

Ein Untersuchungsrichter kam zum Schluss, dass die beiden Beamten vor ein Schöffengericht gestellt werden sollten. Die chambre d’accusation des Berufungsgerichts von Paris entschied, dass nur der Beamte, der Abdelkader Bouziane erschossen hatte, wegen Körperverletzung mit Todesfolge (coups mortels) vor ein Schöffengericht (in Seine-et-Marne) gestellt und das Verfahren gegen den anderen geschlossen werden solle (ordonnance de non-lieu). Am 20. März 2001 hab das Kassationsgericht die Anordnung auf, den einen Beamten vor ein Schöffengericht zu stellen. Am 20. Dezember 2001 schloss sich die chambre d’instruction des Berufungsgerichts von Orléans der Auffassung des Kassationsgerichts an, und so wurde auch dieses Verfahren eingestellt (ordonnance de non-lieu), weil der Beamte aus Notwehr gehandelt habe. Diese Entscheidung stand völlig im Gegensatz zu der des Untersuchungsrichters und der Richter am Berufungsgericht von Paris, die ein Jahr zuvor das Argument der Notwehr verworfen hatten. Der Anwalt, der die Familie Bouziane vertrat, legte beim Kassationsgericht Berufung ein. Im Februar 2003 bezeichnete das Kassationsgericht die Berufung als unzulässig (“irrecevable”), veröffentlichte aber nicht die Gründe für seine Entscheidung. Die Familie fühlt sich völlig im Stich gelassen. Ihr Sohn wurde erschossen, aber nach fünf Jahren wissen sie immer noch nicht, warum die Gerichte entschieden haben, die beteiligten Beamten nicht strafrechtlich zu verfolgen.
45 Jamel Bouchareb schloss sich dem Verfahren als Zivilpartei an und erstattete Anzeige gegen die Polizei wegen versuchten Mordes und illegaler Gewaltanwendung (tentative de meurtre and violences illégitimes). Laut einem ärztlichen Attest vom 6. Januar 1998 war er im Krankenhaus aufgenommen worden, wo er vom 18.-22. Dezember 1997 für eine Reihe von Untersuchungen blieb. Er erhielt ein Attest, das ihn aufgrund der erlittenen Verletzungen fünf Tage krank schrieb. Gerichtsermittlungen wurden zwar eingeleitet, jedoch für unzulässig erklärt. Darauf wurde bei der chambre d’accusation des Berufungsgerichts von Paris Berufung eingelegt. Die Berufung wurde jedoch für unzulässig befunden, weil die von den Beamten eingesetzte Gewalt nicht unverhältnismäßig gewesen sei.

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