Tuesday, November 06, 2007

 

* Ächtung von Folter

GB: Erneut setzen geheime Strafverfahren Personen in Gefahr, bei ihrer Rückkehr nach Algerien gefoltert oder misshandelt zu werden

Wie Amnesty International berichtet hat die besondere Berufungskommission für Immigranten (Special Immigration Appeals Commission SIAC) gestern grünes Licht zur Deportation von drei Männern von GB nach Algerien gegeben. Die Drei sind Mustapha Taleb, bisher unter "Y" aufgeführt, und zwei andere, als "U" und "BB" bezeichnet. Alle drei bestreiten die Vorwürfe, an der Planung und Vorbereitung von Terrorakten beteiligt gewesen zu sein. Ihre Anschuldigung erfolgte in geheimen Verfahren aufgrund geheimgehaltener Indizien, wie dies auch für "U" und "BB" in der Entscheidung der SIAC der Fall ist.

GB stützt sich im Entschluss zur Ausweisung auf dipplomatische Zusicherungen der algerischen Regierung, dass den Männern in Algerien keine Folter oder Misshandlung zugefügt würde. Trotz verbindlicher Abmachungen Algeriens zur Abschaffung und &Aumlchtung von Folter werden diese weiterhin, in Verletzung der Konvention, praktiziert. Diplomatische Zusicherungen, die ohnehin rechtlich unverbindlich sind, haben keinerlei Wert.

Amnesty International ist besorgt um Recht, Sicherheit und Leben der drei Betroffenen und anderer unter ähnlicher Bedrohung. AI verwehrt sich gegen diese Form der Aushöhlung des absoluten Verbots von Folter, Misshandlung und erniedrigender Behandlung. Die britische Regierung plant mit der Deportation eindeutig rechtswidrige Schritte, sie verstoßen gegen nationales und internationales Recht.

Zusammenfassung aus dem Englischen.
- AI Index EUR 45/019/2007 vom 6. Nov. '07
UK: Secret judicial proceedings again expose individuals to risk of torture or ill-treatment on return to Algeria

Hintergrundinformation

Die Anti-Terror-Gesetze Großbritanniens

Die britische Politik der diplomatischen Zusicherungen steht in engem Zusammenhang mit den verschiedenen Anti-Terror-Gesetzen, die in Großbritannien (GB) nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Kraft getreten sind. Bereits durch den Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 (ATCSA) wurde es möglich, ausländische Staatsbürger, die sich in GB aufhalten und nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden können, als „suspected international terrorists“ und als „national security risk“ einzustufen und auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren. Nachdem dieses am 14. Dezember 2001 in Kraft getretene Gesetz am 16. Dezember 2004 durch das Oberste Gericht Großbritanniens („Law Lords“) in einem richtungsweisenden Prozess als diskriminierend und unvereinbar mit dem Recht auf Freiheit eingestuft wurde, trat am 11. März 2005 der Prevention of Terrorism Act 2005 (PTA 2005) in Kraft. Nun können Terrorverdächtige zwar nicht mehr auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden, aber gegen sie können sog. „control orders“ verhängt werden. Diese polizeilichen Auflagen können Freiheitsbeschränkungen wie Hausarrest, Telefon- und Internetüberwachung oder ein Kontakt-Verbot mit bestimmten Personen beinhalten.

Im August 2005 vereinbarten die britischen Behörden mit Jordanien, Libyen und dem Libanon ein ‚Memorandum of Understanding’. Darunter ist die diplomatische Zusage dieser Länder zu verstehen, die abgeschobenen Personen nicht menschenrechtswidrig zu behandeln. Seitdem kommt es wiederholt zu Versuchen, ausländische Staatsbürger, die terroristischer Handlungen und Planungen verdächtigt werden, in Folterstaaten abzuschieben. Als besonders problematisch hat sich dabei in den vergangenen zwei Jahren die Abschiebung von Personen nach Algerien erwiesen, da Folter in Algerien – insbesondere im Umgang mit angeblichen Islamisten - eine gängige Verhörpraxis ist.

Erhält eine Person einen Abschiebebescheid und wird in Abschiebehaft genommen, so kann sie bei der Special Immigration Appeals Commission (SIAC) gegen diese Entscheidung Widerspruch einlegen. Die Widerspruchsverfahren vor der SIAC sind von amnesty in der Vergangenheit wiederholt als unfair bezeichnet worden, da in diesen Verfahren oftmals auf Geheimdienstinformationen zurückgegriffen wird, zu denen den Klägern und ihren Anwälten der Zugang verweigert wird. Die von der Abschiebung bedrohte Person kennt somit die Vorwürfe, die gegen sie erhoben werden nicht vollständig und kann sie somit auch nicht widerlegen.

In Bezug auf die Rechtmäßigkeit diplomatischer Zusicherungen hat die SIAC bisher noch keine grundsätzliche Entscheidung gefällt, sondern urteilt nach wie vor einzelfallbezogen.

Um welche Fälle geht es konkret?
Exemplarisch für die Folgen dieser Unrechtspraxis hier die Schicksale von zwei algerischen Männern, die auf der Grundlage diplomatischer Zusicherungen abgeschoben wurden bzw. von einer Abschiebung bedroht sind:

„H“
„H“ (der vollständige Name wird aus rechtlichen Gründen nicht genannt) wurde am 26. Januar 2007 nach Algerien abgeschoben, nachdem er bereits unter ATCSA inhaftiert war, im März 2005 aus der Haft entlassen wurde und einer sog. „control order“ unterzogen wurde, bis er schließlich im August 2005 in Abschiebehaft genommen wurde. Zunächst hatte er vor der SIAC Einspruch gegen diesen Abschiebebescheid eingelegt, seinen Einspruch aber schließlich im Jahre 2006 zurückgezogen, um sich und seine Familie vor einem jahrelangen Rechtsstreit zu schützen. Obwohl ihm die algerische Botschaft in London vor der Abschiebung zugesichert hatte, dass er in Algerien keine Strafverfolgung befürchten müsse, wurde er am 30. Januar 2007 vom algerischen Geheimdienst DRS (Départment du renseignement et de la sécurité) inhaftiert und konnte erst am Wochenende des 10. Februar 2007 seinen Bruder und seine Familie von seiner Inhaftierung in Kenntnis setzen. Erst ab 17. Februar 2007 hatte er schließlich Zugang zu einem Anwalt. Zwar wurde „H“ nach Informationen von amnesty international nicht physisch gefoltert, er musste jedoch das Weinen und die Schmerzensschreie anderer Gefangener mitanhören, was erhebliche physische Folgen haben kann und daher sog. „weißer Folter“ gleichkommen kann, d.h. einer Foltermethode, die keine nachweisbaren körperlichen Spuren hinterlässt. „H“ befindet sich immer noch in Haft und wurde anscheinend wegen der „Zugehörigkeit zu einem im Ausland operierenden Terrornetzwerk“ angeklagt.

Mustapha Taleb
Nachdem der Algerier Mustapha Taleb von Januar 2003 bis April 2005 auf der Grundlage des ATCSA inhaftiert war und danach freigelassen wurde, wurde er im Sommer 2005 in Abschiebehaft genommen. AI beobachtete das Berufungsverfahren von Mustapha Taleb vor der SIAC und betrachtete es als unfair, da vor allem auf der Grundlage von Geheimdienstinformationen verhandelt wurde, die jedoch Herrn Taleb und seinem Verteidiger nicht zugänglich waren. Nachdem die SIAC Talebs Einspruch abgelehnt hatte, wurde der Fall von Mustapha Taleb zwischen 18. Juni 2007 und 30. Juli 2007 vor dem Court of Appeal of England and Wales, dem zweithöchsten Gericht Großbritanniens, verhandelt. Dieses verwies den Fall zur erneuten Prüfung an die SIAC zurück, ein Schritt, den AI begrü&szligte. Das Urteil der SIAC blieb jedoch, zur Sorge von AI, unverändert: dass nämlich einer Deportation Mustapha Talebs nichts im Wege stünde, da ihm keine Gefahr drohe, gefoltert oder misshandelt zu werden.

Das internationale Engagement Großbritanniens
Die britische Politik der diplomatischen Zusicherungen bereitet nicht nur innenpolitisch Anlass zur Sorge. Die britische Regierung versucht zudem, Klagen, die gegen andere Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig sind und in denen es um die Abschiebung von Terrorverdächtigen geht, zugunsten der betroffenen Staaten zu beeinflussen. Der Hintergrund hierfür ist das wegweisende Urteil Chahal v. UK des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, in dem dieser im Jahre 1996 urteilte, dass GB den indischen Sikh Chahal nicht in sein Heimatland abschieben dürfe, auch wenn er ein Risiko für die nationale Sicherheit GBs darstelle, da ihm in Indien schwere Menschenrechtsverletzungen, u.a. Folter und Misshandlung, drohten. Derzeit versucht die britische Regierung dieses wegweisende Urteil unwirksam zu machen, indem sie in den Fällen Saadi v. Italy und Ramzy v. the Netherlands argumentiert, die Gefahr eines Terrorverdächtigen, nach seiner Abschiebung gefoltert zu werden, müsse gegen die nationale Sicherheit des Aufenthaltslandes abgewogen werden. Da diese Argumentation einer Aufweichung des absoluten Folterverbots gleichkommt, betrachtet AI die Interventionen Großbritanniens mit großer Sorge.

AI empfiehlt der britischen Regierung
dringend:
Zusammenfassung von Andrea Stohr von Amnesty International (leicht ediert)


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