Tuesday, April 17, 2007

 

FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

11. Teil in der Serie
(siehe 27. März; Anfang unter: Februar 2007)

2.2.1. Zugang zu einem Anwalt
Das Recht auf raschen Zugang zu einem Anwalt ist eine fest etablierte internationale Norm. So sieht Grundsatz 7 der Grundprinzipien betreffend die Rolle der Rechtsanwälte unverzüglichen Zugang zu einem Rechtsanwalt “in keinem Fall später als 48 Stunden nach der Festnahme oder Inhaftnahme” vor. 19 Der UN-Sonderberichterstatter über die Folter hat empfohlen, binnen 24 Stunden nach der Festnahme Zugang zu gewähren. 20

Am 15. Juni 2000 hat das französische Parlament ein Gesetz über den “Schutz der Unschuldsvermutung und der Rechte von Opfern” erlassen (loi no. 2000-516 du 15 juin 2000 renforçant la protection de la présomption de l’innocence et les droits des victimes). Dieses Gesetz enthielt auch eine Bestimmung, dass in den meisten Fällen – allerdings nicht in Zusammenhang mit Terrorismus und Drogendelikten – von der ersten Stunden des Polizeigewahrsams Zugang zu einem Anwalt gewähren ist. Mutmaßliche “Terroristen” oder Drogendealer unterlagen einem speziellen Haftregime, wonach die Gefangenen bis zu 96 festgehalten werden durften und ihnen für bis zu 36 der Zugang zu einem Anwalt verwehrt werden konnte. Es wurde erwartet, dass die Einführung von Video-Aufzeichnung der Polizeiverhöre von Minderjährigen brutalen Methoden im Polizeigewahrsam vorbeugen würde. Zur Besorgnis von Amnesty International wurde ein Plan, ähnliche Schutzvorkehrungen auch für Erwachsene einzuführen, aufgrund heftigen Widerstands der Polizei verschoben.

Im März 2003, als eine neue Regierung ihr Amt antrat, machte ein Gesetz über innere Sicherheit (loi 2003-239 du 18 mars 2003 pour la sécurité intérieure) einige Reformmaßnahmen des Vorgängergesetzes rückgängig.

Es wurde ein breites Spektrum neuer Delikte geschaffen, so etwa, sich an öffentlichen Plätzen im Bereich von Wohnblöcken zu versammeln, wenn dies zu einer Störung der öffentlichen Ordnung führen könnte, öffentliche Ansprache potentieller Kunden durch Prostituierte, aggressives kollektives Betteln oder zu bestimmten öffentlichen Anlässen auf die Nationalfahne oder die Nationalhymne zu fluchen oder sie herabzuwürdigen. Amnesty International kritisierte, dass dieses Gesetz einem größeren Personenkreis, darunter auch Jugendlichen zwischen 16 und 18, das Recht auf unverzüglichen Rechtsbeistand beschnitt, da ihnen in den ersten 36 Stunden des Polizeigewahrsams der Zugang zu einem Anwalt verweigert würde. Im folgenden Jahr wurde das Gesetz Nr. 2004-204 vom 9. März 2004 (portant adaptation de la justice aux évolutions de la criminalité – über die Anpassung der Justiz an die Kriminalitätsentwicklung) verbschiedet. 21 Unter anderem weitete dieses Gesetz die spezielle 96-Stunden-Regelung auf ein weiteres Spektrum von Straftaten aus, darunter auch auf “organisiertes Verbrechen”. Mehr noch – wer nach diesem Gesetz unter dem Verdacht des “Terrorismus” oder Drogenhandels verhaftet wird, wird die ersten 48 Stunden ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Zugang zu einem Anwalt in Haft gehalten.

Folterungen oder Misshandlungen finden oft in den ersten Momenten des Polizeigewahrsams statt, weshalb Amnesty International schon seit langem kritisiert hat, dass Personen im Gewahrsam ohne Zugang zu einem Anwalt dem anhaltenden Risiko von Folter und Misshandlung ausgesetzt sind. Mehrere in diesem Bericht geschilderte Fälle über faktische Straflosigkeit beziehen sich auf Todesfälle, Folterungen oder Misshandlungen im Polizeigewahrsam, bei denen kein Anwalt gleich zu Beginn anwesend war. Selbst in den Fällen von Minderjährigen konnte die Anwesenheit von Videokameras in bestimmten Bereichen der Polizeiwache nicht immer das Auftreten von Misshandlungen verhindern (siehe 5.4.).

In einem Bericht, den das Europäische Komitee zur Verhütung der Folter und grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) im März 2004 veröffentlichte, distanzierte sich das CPT erneut von der Position der französischen Behörden, den Festgenommenen im Polizeigewahrsam in den ersten 36 Stunden den Zugang zu einem Anwalt zu verwehren, indem es betonte, dass alle Gefangenen mit Beginn des Gewahrsams Zugang zu einem Anwalt haben sollten und dass während der polizeilichen Vernehmung auch ein Anwalt anwesend sein sollte. Letzteres ist derzeit nicht erlaubt. Das CPT kritisierte auch, dass das neue Gesetz über die Sicherheit von 2003 für ein breites Spektrum von Straftaten an der Abweichung von der Norm des anwaltlichen Zugangs festhielt. Das CPT wies darauf hin, dass es während seiner Besuche in Frankreich nach wie vor Vorwürfe über körperliche Misshandlungen durch Polizeibeamte zum Zeitpunkt der Festnahme oder im Polizeigewahrsam erhalte. Es forderte die französischen Behörden auf, die Bestimmungen über den Polizeigewahrsam aufzugeben, die den Zugang zu einem Anwalt beschneiden, und definitiv das Recht aller Personen, die – aus welchen Gründen auch immer – einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Sicherheitsorgane unterliegen, anzuerkennen, mit Beginn der freiheitsentziehenden Maßnahme Zugang zu einem Anwalt zu erhalten – dies müsse freilich nicht immer ein Anwalt ihrer Wahl sein.
22

Ein Fall, von dem Amnesty International 2003 erfahren hat, ließ Zweifel aufkommen, ob die Polizei stets die nötige Achtung für die Rolle des Anwalts beim Besuch seiner Klienten auf der Polizeiwache aufbringt. So wurde der Anwalt Daniel François am 31. Dezember 2002 gebeten, einem 17-jährigen Jugendlichen Rechtsbeistand zu gewähren, der in Aulnay-sous-Bois (Seine-Saint-Denis) im Polizeigewahrsam gehalten wurde. Als der Anwalt bei seinem Besuch Verletzungen im Gesicht des Jugendlichen feststellte, erklärte er dem diensthabenden Beamten, dass er den Vorwurf, dass sein Mandant gewaltsam traktiert wurde, amtlich festgehalten haben möchte und eine medizinische Untersuchung verlange. Seine Bemühungen blieben umsonst. Ein Polizeibeamter erklärte Daniel François, es geben kein Kopiergerät, auf dem er eine Kopie seines handschriftlichen Antrags machen könne, auch weigerte er sich, eine medizinische Untersuchung anzuordnen. Als der Anwalt hiergegen protestierte, wurde er aufgefordert, die Wache zu verlassen und bis an die Tür geleitet. Darauf kehrte er zur Polizeiwache zurück, um seinen handschriftlichen Text zu hinterlegen. Hierbei wurde er festgenommen und unter dem Vorwurf der Beleidung und des Widerstands (outrage et rébellion) in Polizeigewahrsam genommen. In ihrem Jahresbericht zu, der im Jahr 2004 veröffentlicht wurde, erwähnte die CNDS den Fall Daniel François. Sie zeigte sich erstaunt, dass der Anwalt 13 Stunden im Gewahrsam festgehalten und einem Alkoholtest unterzogen wurde, obwohl keinerlei Hinweis auf Alkoholisierung vorlag. Die CNDS empfahl “Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Anwälten bei der Ausübung ihrer beruflichen Pflichten.” Künftig solle “kein Polizeibeamter mehr über die Gewahrsamnahme einer Person entscheiden, der behauptet, Opfer (erg.: einer von dieser Person begangenen Straftat) zu sein ”. 23
19 Angenommen vom Achten Kongreß der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und
die Behandlung Straffälliger, der vom 27. August bis zum 7. September 1990 in Havanna, Kuba, stattfand.

20 UN Doc. E/CN.4/2002/76, 27. Dezember 2001, Anhang 1.

21 Das sogenannte “Gesetz Perben II” (nach dem damaligen Justizminister)

22 “Le CPT en appelle aux autorités françaises pour qu’elles renoncent au régime dérogatoire de garde à vue en ce qui concerne l’accès à un avocat et qu’elles reconnaissent enfin à toutes les personnes privées de liberté par les forces de l’ordre – pour quelque motif que ce soit – l’accès à un avocat (sans qu’il s’agisse nécessairement de l’avocat de leur choix) dès le début de leur privation de liberté.” Rapport au Gouvernement de la République française relatif à la visite effectuée en France par le Comité européen pour la prévention de la torture et des peines ou traitements inhumains ou dégradants (CPT) du 11 au 17 juin 2003. CPT/Inf (2004) 6], para 64.

23 La Commission a recommandé que des mesures soient prises pour renforcer la protection des avocats dans l’exercice de leur profession et pour qu’une décision de placement en garde à vue ne soit plus prononcée par un officier se présentant comme victime.”

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