Sunday, June 08, 2008

 

* FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

25. Teil in der Serie

(vom Original "France: The search for justice", AI Index EUR: 21/001/2005

übersetzt von Georg Warning; siehe 29. März 2008; Anfang unter: Februar 2007)

hamlaoui3.5. Riad Hamlaoui
Riad Hamlaoui, ein 25-jähriger, in Lille ansässiger Algerier, wurde am 16. April 2000 in einem mutmaßlich gestohlenen Fahrzeug erschossen, in dem er als Beifahrer saß. Er hatte mit anderen bis in die Nacht seinen neuen Arbeitsvertrag gefeiert. Einer der beiden Polizisten, die an den Ort des gemeldeten Autodiebstahlls in der Rue Balzac in Lille gerufen worden war – einer Straße im Süden der Stadt, wo viele Immigranten leben – schoss aus nächster Nähe auf Riad Hamlaoui. Die Kugel durchbohrte sein Genick und tötete ihn auf der Stelle. Sowohl Riad Hamlaoui als auch sein Freund waren unbewaffnet. Der Fahrer war schon aus dem Auto ausgestiegen, aber Riad Hamlaoui, der noch drinnen saß, soll laut Aussage des Beamten eine plötzliche Bewegung gemacht haben, worauf dieser um sein Leben gefürchtet habe. Die nächtliche Dunkelheit und die beschlagene Fensterscheibe des Wagens brachte er ebenfalls als Rechtfertigungsgründe vor. Gegen den Beamten wurde wegen Verdacht auf Mord ermittelt. Er wurde verhaftet und bis zum Abschluss der Ermittlungen vom Polizeidienst suspendiert. Nach wenigen Tagen wurde er aus der Haft entlassen.

Am 4. Juli 2002 wurde der Polizist des Totschlags für schuldig befunden, nachdem die Geschworenen den Mordvorwurf (homicide volontaire) verworfen hatten. Das Schöffengericht Nord verurteilte ihn zu einer dreijährigen Haftstrafe auf Bewährung und schloss ihn aus dem Polizeidienst aus. Auch erhielt er ein fünfjähriges Verbot, Waffen zu tragen. Der Gerichtsvorsitzende ging den unüblichen Weg, eine Erklärung zu verlesen, dass es sich nach seiner Überzeugung im Falle Riad Hamlaouis um einen “unfairen Tod” infolge einer “Reihe von Ungeschicklichkeiten” (“ensemble de maladresses”) gehandelt habe, nicht aber um einen vorsätzlichen Mord. Der Beamte habe sich in einem Zustand von Panik von Gefahren bedroht gefühlt, die in Wirklichkeit nicht existierten. Das Gericht sei der Auffassung, dass es weder der Gesellschaft noch der Familie des Opfers nütze, wenn der Beamte ins Gefängnis komme. Es stellte sich de facto auf den Standpunkt, dass das Vorgehen des Beamten der 11-monatigen einseitig faden Ausbildung an der Polizeiakademie zuzuschreiben sei, um den Ausdruck des Verteidigers zu zitieren, und dass er einfach nicht auf die Arbeit vorbereitet worden sei, die er übernommen habe.

Der Anwalt der Familie dagegen hatte argumentiert, dass der Tötungsakt vorsätzlich gewesen sei. Der Staatsanwalt (avocat général) hatte diese Position unterstützt, als er eine sechsjährige Gefängnisstrafe forderte. Er begründete dies damit, dass ein fester, gezielter Druck auf den Abzug notwendig gewesen sei, um den Schuss auszulösen. Der Beamte sei nur 50 Zentimeter von seinem Opfer entfernt gewesen, und er wusste, dass er es auf alle Fälle töten oder verletzen würde. Es gehe nicht an, hier von Panik oder Stress zu sprechen. Die Position des Staatsanwalts wurde aber möglicherweise dadurch geschwächt, dass er sich nicht gegen die Entscheidung des Gerichts wandte, zusätzlich Anklage wegen “Körperverletzung mit Todesfolge” (“coups mortels”) zu erheben, die eine geringere Gefängnisstrafe als vorsätzlicher Mord vorsieht; auch diese Anklage wurde verworfen.

Trotz des Schuldspruchs waren die Angehörigen und Freunde des Opfers angesichts der Art der Strafe verärgert. Von anderen, u.a. einem ehemaligen Minister der französischen Regierung, wurde es mit der Bemerkung kritisiert, dass die Entscheidung von einem “Klima des Sicherheitsdenkens” beeinflusst sei und “nicht geeignet sei, Vertrauen in die Justiz unseres Landes zu erwecken.” 47

Am 15. Juli 2002 erklärte die Staatsanwaltschaft (parquet) von Douai, dass sie gegen das Urteil, das in der Region Lille-Sud, wo Riad Hamlaoui lebte, mehrtägige Gewalttätigkeiten auslöste, keine Berufung einlegen werde.

47 Martine Aubry, zitiert in Le Monde, 10 Juli 2002

Photo Quellen: Riad Hamlaoui dpa, AP [nicht von Amnmesty International]

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