Thursday, August 23, 2007

 

* FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT


21. Teil in der Serie
(vom Original "France: The search for justice", AI Index EUR: 21/001/2005
übersetzt von Georg Warning; siehe 20. August 2007; Anfang unter: Februar


3.1. Todor Bogdanovic
Ein beredtes Beispiel, über das sich auch der Menschenrechtsausschuss auf einer mündlichen Anhörung im Jahr 1997 besorgt zeigte, ist der Fall von Todor Bogdanovic, einem achtjährigen Roma-Jungen aus Serbien, der in der Nacht vom 19. auf den 20. August 1995 von der Grenzpolizei nahe Sospel (Alpes-Maritimes) erschossen wurde. 43 Todor Bogdanovic schlief auf dem Rücksitz eines Autos, das in einem Wagen-Konvoi von 43 Roma fuhr, die aus Novi Pazar geflohen waren und Frankreich zu erreichen versuchten. Der Konvoi, bestehend aus vier Autos und zwei Wohnwagen, fuhr in der Dunkelheit eine abgelegene Bergstraße hoch. Die beiden Grenzpolizisten gaben an, dass sie versucht hätten, den Konvoi anzuhalten, als er sich dem Kontrollposten näherte. Sie behaupteten, sieh hätten Uniform getragen, und der Kontrollposten sei mit einem Warnlicht markiert gewesen. Als die ersten beiden Fahrzeuge nicht anhielten, sondern erst das Tempo verlangsamten und dann Gas gaben und dem Polizeiauto auswichen, habe ein Beamter drei Schüsse abgegeben: einen mit Hartgummi-Munition auf das erste Auto, und zwei mit Metallprojektilen auf das zweite. Er hatte seine Schusswaffe (eine pump-action shotgun) direkt nach Abschuss der Gummi-Munition mit der Metallmunition geladen. Bei einer Schusswaffe dieser Art muss man für jeden einzelnen Schuss extra den Abzug drücken. Die auf das zweite Auto abgegebenen Schüsse, das vom Vater des Kinds gefahren wurde, durchschlugen die Heckscheibe aus nächster Nähe, traten an der Schulter von Todor Bogdanovic ein und beim Brustkorb aus.

Die Angehörigen seiner Familie gaben an, dass sie weder ein Warnlicht noch Uniformen gesehen hätten, sondern nur “Schatten”, und dass sie Angst gehabt hätten, es habe sich um Banditen gehandelt. Auch seien die Lichter des Polizeifahrzeugs nicht an gewesen.

Die Mitglieder des Konvois beantragten sofort politisches Asyl, aber nur die nächsten Angehörigen des Kindes erhielten einen vorübergehenden Aufenthalt in Frankreich. Am Tag nach den Todesschüssen wurde der Rest des Konvois, darunter mindestens ein wichtiger Augenzeuge, eventuell auch mehr, aus Frankreich abgeschoben. Sie wurden deshalb im Laufe der gerichtlichen Untersuchungen nie vernommen. Im Juni 1997 entschied der Staatsrat (Conseil d’Etat), dass die Abschiebebefehle illegal waren. Diese wurden darauf annulliert.

Es wurden polizeiliche und richterliche Ermittlungen eingeleitet. Der betroffene Polizeibeamte gab an, er habe sich durch die heranfahrenden Autos bedroht gefühlt, die auf ihn zuzufahren schienen, als er auf der Straße stand. Er habe aus Notwehr (“légitime défense”) gehandelt. Die polizeiinterne Untersuchung durch die Inspection générale de la police nationale (IGPN) konnte nicht feststellen, dass der Beamte aus Notwehr gehandelt habe. Ihr zufolge sollen die Schüsse auf das zweite Auto voreilig abgegeben worden sein (“coups de feu intempestifs”). Der stellvertretende Staatsanwalt von Nice wurde mit den Worten zitiert: “Auf das Argument der Notwehr kann man sich nicht uneingeschränkt berufen ... Notwehr kann nicht einfach unterstellt werden, sie muss bewiesen werden. Den vorläufigen Ergebnissen der IGPN zufolge scheint es allerdings, dass die Schüsse voreilig abgegeben wurden.” Gegen den Beamten wurden Ermittlungen wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge eingeleitet (coups et blessures volontaires ayant entraîné la mort sans intention de la donner). Er wurde zur Verfügung des Richters auf freien Fuß gesetzt. Die Familie Bogdanovic reichte als Zivilpartei Klage ein.


Im Dezember 1996 entschied der Untersuchungsrichter jedoch die Archivierung des Verfahrens (ordonnance de non-lieu). Der Staatsanwalt schien mit dem Richter einer Meinung, dass der Beamte instinktiv und aus Angst so gehandelt habe – dass er, mit anderen Worten, rechtmäßig befürchtet habe, dass sein Leben durch die durch am Kontrollpunkt beschleunigenden Autos in Gefahr sei. Die Familie Bogdanovic legte unmittelbar Berufung gegen das Urteil ein. Der Fall kam vor die chambre d’accusation des Berufungsgerichts in Aix-en-Provence, die im Dezember 1997 die Entscheidung aufhob. Das Gericht ging davon aus, dass die beiden Beamten deutlich als Polizisten erkennbar gewesen seien und dass der Konvoi aus Angst vor einer Rückschiebung (refoulement) vorsätzlich durch die Straßensperre gefahren sei. Das Gericht argumentierte jedoch, dass von Notwehr nur dann hätte die Rede sein können, wenn der Beamte gezwungen gewesen wäre, das Feuer zu eröffnen, um den zweiten Wagen anzuhalten, bevor er vorbeigefahren war. Statt dessen habe er von der Seite aus der Hüfte das Feuer eröffnet, und von hinten, als der Wagen schon vorbei fuhr. Das Gericht wies auch darauf hin, dass der Beamte jedesmal den Abzug drücken musste, um einen Schuss auszulösen. Auch wenn die für einen Schuss benötigte Zeit nur kurz sei, sollte sie doch ausgereicht haben, ihm die Entscheidung zu erlauben, nicht mehr weiter zu schießen, nachdem die mögliche Gefahr vorüber war.


Der Fall kam dann vors Schöffengericht von Alpes-Maritimes. Im Dezember 1998 sprach dieses Gericht den Polizeibeamten wegen Notwehr frei. Der Staatsanwalt hatte nur die Verhängung einer symbolischen Strafe (peine de principe) beantragt, weil die Voraussetzungen für Notwehr gegeben gewesen seien, als das Auto die Straßensperre durchbrach, dass der Beamte aber keine Notwehr mehr für sich in Anspruch nehmen konnte, wenn er – wie in diesem Fall – nach dem Passieren des Fahrzeugs noch weiter darauf schoss. Es handle sich daher um ein graduelles Problem.


Amnesty International hatte einen Anwalt als Prozessbeobachter entsandt. In seinem Bericht an die Organisation teilte der Beobachter seinen “klaren Eindruck” mit, dass der Staatsanwalt (avocat général) anscheinend die Rolle der Verteidigung übernommen hatte, was die Sache des Polizeibeamten beträchtlich erleichterte und umgekehrt den Stand der Zivilparteien und des Anwalts, der die Familie Bogdanovic vertrat, “äußerst schwierig” gestaltete. Zu keinem Zeitpunkt habe der Staatsanwalt auch nur angedeutet, dass der Beamte nicht gezwungen gewesen sei, den dritten, tödlichen Schuss, abzugeben, oder darauf hingewiesen, dass der zweite Beamte den Einsatz seiner Schusswaffe nicht für nötig befunden habe. Zur entscheidenden Frage, wieviel Zeit der Beamte zur Verfügung gehabt habe, um über die Abgabe des Schusses zu entscheiden, hatte der Staatsanwalt argumentiert, dass eine Verurteilung des Beamten seine Handlung künstlich in Einzelschritte aufsplitten würde. Das Geschworengericht solle vielmehr einen “psychologischen” Ansatz wählen und seine Handlung als eine durchgehende, einer Einzelentscheidung entspringende Aktion betrachten. Der Beobachter bemerkte auch, dass der vorsitzende Richter nicht den Eindruck “völliger Unparteilichkeit” erweckte, sondern eine deutliche Voreingenommenheit zugunsten des Angeklagten (und in diesem Fall auch des Staatsanwalts) und zulasten der Zivilpartei an den Tag legte. Er wies auf das massive Überwiegen von Zeugen der Verteidigung hin, gegenüber nur einem einzigen Zeugen für die Zivilpartei. Der Prozess kam ihm vor wie eine “Chronik eines angekündigten Freispruchs”, wie eine Zeitung es treffend beschrieb.


Damals konnte gegen die Entscheidung des Schöffengerichts keine Berufung eingelegt werden, aber angesichts der Haltung, die der Staatsanwalt (avocat général) einnahm, ist es unwahrscheinlich, dass er Berufung eingelegt hätte, selbst wenn das Gesetz schon geändert gewesen wäre und ihm eine Berufung gegen den Freispruch ermöglicht hätte.

Bei den Beamten handelte es sich um Angehörige der Direction centrale du contrôle de l’immigration et de la lutte contre l’emploi des clandestins (Zentraldirektion zur Kontrolle der Einwanderung und der Bekämpfung der Beschäftigung von Illegalen - DICCILEC). Sie wurde in einem Klima wachsender Spannungen in Frankreich mit Bezug auf „Terrorismus“ und illegale Einwanderung geschaffen.

43 Bei den Beamten handelte es sich um Angehörige der Direction centrale du contrôle de l’immigration et de la lutte contre l’emploi des clandestins (Zentraldirektion zur Kontrolle der Einwanderung und der Bekämpfung der Beschäftigung von Illegalen - DICCILEC). Sie wurde in einem Klima wachsender Spannungen in Frankreich mit Bezug auf „Terrorismus“ und illegale Einwanderung geschaffen.

* Nachrichten von Europa in Kürze

The Guardian berichtet vom britischen Verteidigungsministerium, dass es eine "enhanced blast" Waffe in Afghanistan einsetzen will. Diese Waffe zerstört und tötet mit mächtigen Druckwellen. Sie würde nicht wie die thermobarischen Bombentypen, (z.B. die US-amerikanischen "bunker busters") zusätzlich Hitze entwickeln und wäre in voller Übereinstimmung mit GBs Verpflichtungen unter internationalem humanitärem Recht entwickelt worden. ("These have been procured in full accordance with the UK's obligations under international humanitarian law.", wie der Verteidigungsminister im Artikel zitiert wird).
siehe: Army gets new 'enhanced blast' weapon to fight Taliban von Richard Norton-Taylor

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