Wednesday, August 01, 2007

 

* FRANKREICH - SUCHE NACH GERECHTIGKEIT

18. Teil in der Serie
(vom Original "France: The search for justice", AI Index EUR: 21/001/2005
übersetzt von Georg Warning; siehe 23. Juli; Anfang unter: Februar 2007)


2.8. Schusswaffeneinsatz durch Gendarmen
Seit langem schon hat Amnesty International schwerwiegende Bedenken über die weiterhin genutzten Sondervollmachten von Beamten der gendarmerie nationale hinsichtlich des Gebrauchs von Schusswaffen.37

Diese Vollmachten wurden durch ein Dekret vom 20. Mai 1903 gewährt und 1943, unter der Vichy-Regierung, per Dekret und Gesetz modifiziert. Sie gelten seither unverändert. Diese Vollmachten ermöglichen es den Gendarmen traditionell, ihre Schusswaffen ohne die Einschränkungen zu gebrauchen, wie sie für Polizeibeamte gelten. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die internationalen Normen über den Einsatz von Schusswaffen. Während Polizisten die Bestimmungen der “legitimen Verteidigung” beachten müssen, haben Gendarmen das Recht, fliehende oder ausbrechende Tatverdächtige durch Schüsse zu stoppen, solange die Schützen Uniform tragen und zuerst ein Warnsignal – z.B. einen Warnschuss in die Luft - abgegeben haben. Dies lässt den Gendarmen einen weiten Spielraum, so dass sie von der Schusswaffe leichter Gebrauch machen können als die nicht-militärische Polizei, ohne deshalb rechtliche Folgen befürchten zu müssen.

So sprach das Strafgericht von Valence (Drôme) im November 1997, vier Jahre nach den tödlichen Schüssen auf den jungen Ingenieur Franck Moret vom Juli 1993, einen Gendarmen frei, der ihm in den Hinterkopf geschossen hatte, als er mit seinem Auto wegzufahren versuchte. Begründung: er habe die Waffe legal eingesetzt. 1998 wurde der Freispruch vom Berufungsgericht von Grenoble (Isère) aufgehoben. Das Gericht erklärte: “Die Offizieren der Gendarmerie durch das Gesetz oder die Vorschriften eingeräumte Befugnis, Schusswaffen einzusetzen, um Fahrzeuge anzuhalten, ist nicht als absolute, grenzenlose Befugnis anzusehen, die den [Offizier] von der allgemeinen Pflicht entbindet, wenn schon nicht das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu achten, so doch zumindest vorsichtig und mit einem Minimum an beruflichem Können vorzugehen”.38 Im Januar 2000 wurde dieses Urteil jedoch vom Kassationsgericht aufgehoben, das entschied, der Beamte habe im Rahmen des Gesetzes (des Dekrets von 1903) gehandelt.

1997 erklärte das UN-Menschenrechtskomitee, dass es besorgt sei, dass “die Vollmachten der gendarmerie nationale, die grundsätzlich eine militärische Institution ist, weiter reichen als die der Polizei, wenn sie zur Wahrung der öffentlichen Ordnung im zivilen Raum operiert. Das Komitee empfiehlt dem Vertragsstaat, eine Aufhebung oder Modifizierung des Dekrets vom 22. Juli 1943 in Erwägung zu ziehen, um die Vollmachten der Gendarmerie zu reduzieren, wenn es um Einsatz von Schutzwaffen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geht, und sie in Einklang mit den Vollmachten der Polizei zu bringen.”

Die französische Regierung weigert sich beharrlich, den Empfehlungen nachzukommen. Die Lage könnte sich aber ändern, weil der Kassationshof kürzlich entschieden hat, dass das Dekret von 1903 nicht mehr haltbar sei. Berichten zufolge wurde Romuald Laffroy 1996 von einem Gendarmen erschossen, als er ein nicht versichertes Fahrzeug fuhr. Er hatte versucht, eine Straßensperre zu umfahren. Der Gendarme war des Totschlags (homicide involontaire) angeklagt, im Oktober 2001 wurde er jedoch vom Berufungsgericht von Caen (Calvados) freigesprochen, weil das Dekret von 1903 ihm erlaubt habe, den tödlichen Schuss abzugeben. Die Familie habe daher keinen Anspruch auf Entschädigung. Der Fall wurde vor das Kassationsgericht gebracht, das seine Entscheidung offenkundig auf die internationale Rechtsprechung, d.h. auf ein Urteil des Europäische Menschenrechtsgerichtshofs stützte. 39

37 Die Vorlage von Amnesty International an das (UN-)Anti-Folter-Komitee von 1998, FRANCE: Excessive force: A summary of Amnesty International’s concerns about shootings and ill-treatment, (AI Index: EUR 21/05/98) wies auf die Bedenken hin, die auch vom UN-Menschenrechtskomitee geteilt wurden.
38 Cour d’appel de Grenoble, 29 July, arrêt no. 886/gj.
39 Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof entschied 1995, dass die britische Regierung das Grundrecht auf Leben nach der EMRK verletzt habe, als ihre Agenten 1988 drei unbewaffnete Angehörige der IRA (Irish Republican Army) in Gibraltar erschossen. Der Gerichtshof erklärte, dass die Tötungen nicht notwendig gewesen seien. Er bemerkte, dass er “nicht überzeugt sei, dass die Tötung der drei Terroristen nicht mehr als das Maß an Gewalt darstelle, das absolut notwendig sei, um andere Menschen vor illegaler Gewalt zu schützen” und dass es an der “angemessenen Sorgfalt bei der Kontrolle und Organisierung der Verhaftungsoperation gefehlt” habe. McCann and Others v. the UK Series A, No. 324, Urteil vom 27. September 1995, Paragraph 213 bwz. 212.

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